"Unsere Vorfahren waren Helden!":Wie geschichtsvergessen ist die AfD?
von David Gebhard, Julia Klaus und Ulrich Stoll
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Der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah fordert, stolz auf die Vorfahren zu sein - doch sein eigener Großvater war in der NSDAP, wie ZDF frontal enthüllte. Wie passt das zur AfD?
Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl und Mitglied des Bundesvorstandes der Partei (Archiv)
Quelle: dpa
Im September steht Maximilian Krah auf einer Bühne vor Sympathisanten der AfD im Saalekreis und genießt den Applaus. Gerade hat er in den Saal gerufen: "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher!" Dann legt er nach:
Die Vorfahren als "Vorbilder" gar als "Helden", so als hätte es die Verbrechen im Nationalsozialismus nie gegeben - die Methode Krah, auf allen Kanälen. Auf TikTok fordert er: "Krieg mal raus, was Opa, Oma, Uroma und Uropa gemacht haben, wo sie herkamen, was sie gekämpft und gelitten haben."
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Doch was hat Krahs Opa so gemacht, wofür hat er gekämpft? Er sei Frontarzt im ersten Weltkrieg gewesen, dann nach Oberschlesien gegangen, um "das Deutschtum im Osten" zu verteidigen, erzählte Krah Anfang April auf einer Wahlkampfveranstaltung in Dresden. Eine NSDAP-Mitgliedschaft des Großvaters verneinte Krah auf explizite Nachfrage.
Bundesarchiv: Krahs Opa war NSDAP-Mitglied
Doch Recherchen von ZDF frontal und "Spiegel" zeigen ein anderes Bild des Krahschen Vorfahren. Dr. Martin Krah stellte schon kurz nach Hitlers Machtübernahme 1933 einen Aufnahmeantrag in die NSDAP, das belegen Akten des Bundesarchivs. Weil er umzieht, kann die Mitgliedskarte nicht zugestellt werden und er muss sich gedulden.
Am 1. Mai 1937 wird Martin Krah schließlich Mitglied in der Nazi-Partei. Die NSDAP-Oberen bescheinigen ihm 1939: "Genannter hat sich aktiv im Sinne der Bewegung betätigt." Wenige Monate zuvor, in der Reichspogromnacht am 9. und 10. November 1938, hatte in Martin Krahs Wohnort Hindenburg (heute Zabrze) die Synagoge gebrannt - auch Mitglieder der NSDAP waren an dieser "Judenaktion" beteiligt.
Seit Jahren äußern sich führende AfD-Funktionäre geschichtsrevisionistisch. Diese politisch motivierte Umdeutung der Geschichte findet vor allem über Social Media statt.
18.04.2024 | 2:49 min
Die Akten des Bundesarchivs zeigen: Martin Krah war in der NS-Ärzteschaft, die sich als sogenannte "Kampforganisation" der NSDAP sah, und er war freiwillig Arzt für die Hitlerjugend.
Maximilian Krah, der behauptet, er habe von der NSDAP-Mitgliedschaft seines Vorfahrens nichts gewusst, sagte dem "Spiegel", er "würde das TikTok-Video auch mit heutigem Wissen wieder genauso machen".
Die Verharmlosung der Zeit des Nationalsozialismus hat in der AfD Tradition. Und folgt einem Muster:
Schritt 1: Die Erinnerungspolitik angreifen und abwickeln
In seinem TikTok-Video hatte Krah außerdem gesagt: "Wenn Du wiederentdeckst, was Deine Vorfahren alles getan haben - dann wirst auch Du Dich aufrichten können!"
Keine Partei ist auf der Videoplattform TikTok so erfolgreich wie die AfD. Gesundheitsminister Lauterbach und private Nutzer wollen dagegenhalten.12.03.2024 | 30:12 min
Dieses Video wird im November 2023 bei einem Netzwerktreffen der extremen Rechten in Schnellroda vorgeführt. Erik Ahrens, der hier als Kopf hinter Krahs "TikTok-Offensive" präsentiert wird, sagt zu Krahs TikTok-Botschaft: "So sieht die erinnerungspolitische 180-Grad-Wende aus!"
Schon 2017 hatte Björn Höcke in seiner "Dresdner Rede", in der er vom Berliner Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" sprach und eine "dämliche Bewältigungspolitik" anprangerte, die das Land "lähme", genau diese "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert.
Wer eine 180-Grad-Umkehr der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur propagiert, kann nur ein Verschweigen der Nazi-Herrschaft meinen - oder vielleicht gar deren Verherrlichung?
Die Erinnerungskultur der Deutschen galt lange als vorbildlich. Nun sind rechtsextreme Kräfte sind wieder auf dem Vormarsch. Rückt das Holocaust-Gedenken in den Hintergrund?05.12.2020 | 44:05 min
Schritt 2: Ein neues Wording etablieren
Das Erinnern an die Zeit des Nationalsozialismus und den Holocaust, den Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, wird aus der AfD heraus immer wieder geschmäht und als "Schuldkult" verunglimpft: "Ich erkläre diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet", hatte etwa AfD-Mann Jens Maier aus Sachsen gefordert, Spitzname "kleiner Höcke".
Erinnerungskultur hängt an Daten zum Erinnern. "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft", hatte Richard von Weizsäcker 1985 in seiner berühmten Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes gesagt.
"Mongolensturm" und "Tag der Schande": Die Partei, die vorgibt gegen Russlandfeindlichkeit und für gute Beziehungen mit Moskau zu sein, klingt in einer Chatgruppe ganz anders.
von David Gebhard
Exklusiv
Für Björn Höcke war das "eine Rede gegen das eigene Volk." AfD-Chefin Alice Weidel bezeichnete den 8. Mai im ARD-Sommerinterview als "Tag der Niederlage des eigenen Landes", der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel-Schmidt gar als "Tag der Schande".
Schritt 3: Heroisierung und Verharmlosung
Der Holocaust ist für den stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD in Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, "das Verbrechen einiger weniger".
Tweet des ARD-Korrespondenten Martin Schmidt
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"Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte", befand einst Alexander Gauland, mittlerweile AfD-Ehrenvorsitzender, und Deutsche hätten "das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen".
Für Historiker Hannes Heer, Vater der berühmten Wehrmachtsausstellung, sind solche Äußerungen blanker Geschichtsrelativismus, wie er gegenüber ZDF frontal sagt:
Deutsche Soldaten: Im Zweiten Weltkrieg zu Helden stilisiert, später beschimpft als Mörder oder gefeiert als Friedensbringer.06.03.2022 | 16:44 min
Seit Jahren hält die AfD Veranstaltungen ab, auf denen geschichtsrelativierenden Äußerungen Raum geboten wird. Bemerkenswert eine Szene auf dem "Russland-Kongress" der AfD Sachsen-Anhalt 2017: Ein Gastredner schwärmt vom preußischen Militärgeist und lobt "die heute viel geschmähte Wehrmacht, wo auch viel mehr selbstständige Köpfe saßen, bis hin zu Generalen der Waffen-SS, als wenn man sich diese Typen heute anguckt". (Jan von Flocken, "Historiker"/Journalist).
Im AfD-Mitschnitt sieht man wie an dieser Stelle AfD-Politiker applaudieren, Martin Reichardt - mittlerweile Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt - und der AfD-Verteidigungspolitiker im Bundestag, Jan Nolte. Widerspruch ist im Saal nicht zu vernehmen.
Genauso wenig wie 2018 von Tino Chrupalla, als bei einem Bürgerdialog ein Mann von den NS-Kriegsverbrechern, die bei den Nürnberger Prozessen vor Gericht standen als "die Jungs" sprach, die in Nürnberg am Galgen endeten.
Thüringen, Sachsen und Brandenburg stehen vor polarisierenden Wahlkämpfen. Erwartet uns ein Polit-Beben im September?27.01.2024 | 10:47 min
NS-Verbrecher und ihre Verbrechen verharmlosen oder sich auf die NS-Vergangenheit beziehen, damit kommt man in der AfD mittlerweile durch. Matthias Helferich etwa, der sich selbst in einem Chat als "das freundliche Gesicht des NS" also des Nationalsozialismus bezeichnet hatte, wurde unlängst in den Landesvorstand der NRW-AfD gewählt.
Ein Mitglied im sächsischen Landesvorstand, Andreas Harlaß, den man laut Gerichtsentscheid als "lupenreinen Neonazi" bezeichnen darf, posierte mit einem sogenannten Julleuchter, Teil des Brauchtums der SS.
Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und aussichtsreiche AfD-Europawahl-Kandidat Siegbert Droese ließ sich einst mit der Hand auf dem Herzen vor Hitlers Wolfsschanze fotografieren. Die Liste ließe sich fortsetzen.
In der AfD gärt es 2022. Die Unzufriedenheit mit Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla wächst.22.05.2022 | 9:30 min
Björn Höcke steht gerade in Halle vor Gericht, weil er eine SA-Parole bei einer Veranstaltung verwendet hatte, der Geschichtslehrer sagt, ihm sei das nicht bewusst gewesen.
Schritt 4: Täter-Opfer-Umkehr
Die Zeit des Nationalsozialismus ist besonders für seinen völkischen Parteiflügel eine reine Geschichte der Verführung - mit klassischer Täter-Opfer-Umkehr. "Man wollte uns mit Stumpf und Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden", befand Höcke einst in Dresden.
Die geplante Vernichtung allen jüdischen Lebens im Holocaust wird quasi umprojiziert auf Deutschland, das Land der Täter. Maximilian Krah bemühte jüngst sogar für die Ablehnung der Ukraine-Unterstützung einen kruden Opfermythos. Weil die Deutschen es "erlitten" hätten, dass das Land so kaputt war, dürfe man es den Ukrainern nicht auch zumuten.
Zehn Jahre AfD: Die Gründer packen aus.31.01.2023 | 13:31 min
Die Tatsache, dass Nazi-Deutschland einen Vernichtungskrieg begann, die Ukraine aber überfallen wurde und sich gegen einen Aggressor wehrt, scheint den AfD-Spitzenkandidaten nicht zu stören: "Und genau deshalb sind wir hier, weil wir nicht wollen, dass es anderen so schlecht geht, wie es unseren Vorfahren ergangen ist."
Vorfahren als Opfer, Helden und Maßstab. Für Historiker Hannes Heer ist das keine Überraschung:
Zur nun geklärten NSDAP-Mitgliedschaft von Martin Krah sagt der Enkel übrigens: Sein Großvater sei für ihn in der Gesamtschau "ein großer Mann" gewesen.