Eine Handvoll Hoffnung

Schon bei der Auseinandersetzung mit dem Thema war mir die Intensität des Bangens, des Schmerzes, der Sorge und der Trauer von Frühchen-Eltern bewusst. Im Laufe der Recherche wurde mir deutlich, dass diese emotionale Belastung oft jahrelang anhält. Bereits meine Vorgespräche mit betroffenen Familien, meine Treffen mit Fachärzten, Psychologen und dem Pflegepersonal führten mir die Situation der Betroffenen vor Augen.

Als ich nach einem sehr langen und hilfreichen Gespräch mit dem Bundesverband 'Das frühgeborene Kind' anfing, auf die Suche nach Protagonisten für den Film zu gehen, war ich von der Redebereitschaft und dem Gesprächsbedarf überwältigt. Viele Familien hören zwar auf zu reden, wenn die Frühchen aus dem Gröbsten raus sind, in Wahrheit aber hören Sorgen und Ungewissheit niemals auf. Doch Angehörige und Freunde begegnen den anhaltenden Sorgen oft nach einer Zeit mit Unverständnis, weil sie davon ausgehen, dass das Schlimmste überstanden ist. 'Das wächst sich aus', heißt es auch oft in Kinderarztpraxen, der Kita oder der Grundschule. Manchmal scheint allerdings von außen alles ganz normal, in Wahrheit sind die Eltern aber am Ende ihrer Kräfte, nachdem sie Jahre lang nur funktioniert haben. Irgendwann erschöpfen sich auch Akzeptanz und Verständnis, und das Umfeld ist des Themas überdrüssig. Ich bin dankbar, dass ich eine Familie in ihrer schwersten Zeit begleiten durfte und dass ich starke Eltern getroffen habe, die sich gegenseitig stützen.

Ella - als eines der jüngsten Frühchen Deutschlands in der 23. Woche geboren - ist heute 7 und eine lebensfrohe Sportskanone. Dass ihr Zwillingsbruder aber kein Jahr alt wurde, muss die Mutter verarbeiten. Sie fragt sich, ob sie Schuld daran trägt, dass ihre Kinder nicht 40 Wochen in ihrem Bauch reifen konnten. Auch das Thema Einschulung ist für Frühcheneltern wesentlich. Denn ausschlaggebend ist der Geburtstermin, und oft zeigen sich erst in der schulischen Umgebung Defizite. Auch deshalb erbitten sich Frühchen-Eltern, nicht nur in den ersten Monaten nach der Geburt, sondern auch Jahre später, gesellschaftliches Verständnis. Diesen Film zu machen, hat auch mir sehr viel gegeben.

Wenn ein Frühchen zur Welt kommt, sind die Eltern besonders dadurch belastet, dass sie eigentlich nicht helfen können. Kinder, die vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblicken, haben in den ersten acht Lebensjahren ein deutlich höheres Krankheitsrisiko als reif geborene Kinder, so der Kindergesundheitsreport der Techniker Krankenkasse. Bundesweit kamen 2018 fast 788.000 Kinder zur Welt - davon jedes elfte als Frühchen. Laut Verein "Das frühgeborene Kind" kommen rund 65.000 Frühchen jährlich in Deutschland zur Welt.

"Unter 500 Gramm und weniger als 24 Wochen jung - das ist die absolute Höchstrisikogruppe", so Christof Dame, der stellvertretende Direktor der Klinik für Neonatologie an der Berliner Charité. Kinder dieser Risikogruppe haben eine Überlebenschance von 60 Prozent. "Von denen, die überleben, entwickelt sich ein Drittel gut, ein weiteres Drittel mit mittleren Beeinträchtigungen und ein weiteres Drittel überlebt mit schweren Beeinträchtigungen", weiß Dame. In seiner Klinik werden jährlich etwa 180 Kinder behandelt, die weniger als 1500 Gramm wiegen.

Verglichen mit reif geborenen Kindern, haben Frühgeborene bis acht Jahre ein um 44 Prozent höheres Risiko für leichte und mittlere Entwicklungsstörungen, ein um etwa ein Drittel erhöhtes Risiko für Sehbeeinträchtigungen und chronische Bronchitis sowie ein um 14 Prozent höheres Risiko für akute Erkrankungen der unteren Atemwege. Auch andere Krankheiten treten deutlich häufiger auf. Es gibt zahlreiche Gründe für Frühgeburten. Zu den Risikofaktoren zählen Krankheiten der Mutter wie Bluthochdruck, Diabetes, Infektionskrankheiten, Veränderungen der Gebärmutter oder Plazenta, Fruchtbarkeitsbehandlungen und das Rauchen. Auch extremes Übergewicht oder Depressionen können eventuell eine Rolle spielen.

"Etwa acht Prozent der Babys werden vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche beziehungsweise mit weniger als 2.500 Gramm Körpergewicht geboren und gelten somit als Frühgeburt", so Maren Puttfarcken von der Techniker Krankenkasse. Ihr Risiko an chronischer Bronchitis zu erkranken, ist um beinahe 30 Prozent erhöht - bei Asthmaerkrankungen um mehr als 36 Prozent. Relativ häufig kommt es zu leichten und mittleren Entwicklungsstörungen oder Sehbeeinträchtigungen. Jedes elfte Kind in Deutschland ist ein Frühchen. Damit hat Deutschland eine der höchsten Frühgeborenenraten in Europa. Frankreich und Schweden liegen mit rund sechs Prozent Frühchen deutlich unter den beinahe neun Prozent hierzulande. Besonders wissenswert ist, dass die Wahl der richtigen Klinik enorme Auswirkungen darauf haben kann, wie sich ein Frühchen künftig entwickelt. Das Internetportal "Perinatalzentren.org" listet mehr als 200 Zentren für Geburten nach Risikoschwangerschaften und für Frühgeburten deutschlandweit auf. Da die vielen angegebenen Daten dort für medizinische Laien nur schwer verständlich sind, empfiehlt es sich, sich von Geburtshelfern und Gynäkologen beraten zu lassen. Quellen: dpa / Techniker Krankenkasse / epd / afp