Wir Deutsche lieben Geflügelfleisch. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland dem Bundesamt für Statistik zufolge 623 Millionen Masthühner geschlachtet, das ist eine Steigerung von unglaublichen 250 Prozent im Vergleich zu 1991. Diese Masse ist nur möglich, weil sich im Laufe der Jahre eine perfekt abgestimmte Industrie entwickelt hat, die Profit über das Tierwohl stellt. Einen Blick hinter die Kulissen der Hähnchenproduktion hat die Süddeutsche Zeitung geworfen. Die Autoren zeigen, wie ein Quasimonopol dafür sorgt, dass Tiere leiden und sich Krankheiten deutlich schneller ausbreiten könnten.
Im Zentrum der Recherchen der SZ steht die PHW-Gruppe. Ein Firmenname, der wohl kaum jemandem etwas sagt, der bei den meisten aber schonmal auf dem Teller gelandet sein dürfte. Denn die PHW-Gruppe ist einer der ganz großen Player im Geflügelbusiness. Zur Gruppe gehören viele Fleischmarken wie Wiesenhof und Bruzzler. So streicht die PHW-Gruppe mittlerweile die Hälfte des Gesamtumsatzes in der Geflügelindustrie ein. Anfragen der SZ zeigen, dass die PHW-Gruppe wenig Interesse an Öffentlichkeit hat. Die Firmenhompage wirbt hingegen mit „Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt“.
Doch warum ist die Marktmacht so problematisch? Von der Brut bis zur Schlachtung ist quasi kein Vorbeikommen an der PHW. Das beginnt schon beim Genmaterial der Hochleistungshühner. Denn längst ist das Hühnchen, welches auf dem Teller landet, kein natürlich entwickeltes Tier mehr. Produziert wird es von der EW Group, die im vergangenen Jahrzehnt ihren Umsatz verdreifacht hat. Sie beliefert die PHW-Gruppe mit ihrem Spitzenprodukt „Ross 308“, dem nach eigenen Angaben beliebtesten Masthuhn der Welt. Speziell gezüchtet, um schnell gemästet und geschlachtet zu werden. Um diese Tiere gewinnbringend zu mästen, werden die Tiere auf engstem Raum zusammengepfercht. So müssen sich 16 Hühner einen Quadratmeter teilen. Damit sie unter diesen Umständen gesund bleiben, werden sie geimpft und bekommen Antibiotika. In Deutschland werden im Schnitt 90 Prozent aller Hähnchen damit behandelt. Das wiederum beschleunigt das Entstehen von resistenten Keimen, die ihren Weg dann auch zum Menschen finden könnten. Der Deutschlandfunk stellt die Frage, ob die nächste Pandemie aus dem Hühnerstall kommt.
Bei der schieren Masse an Tieren, die von der PHW- und EW-Gruppe gebrütet und gezüchtet werden, ist es wenig verwunderlich, dass das Wohl der Tiere kaum eine Rolle spielt. Wie Recherchen der SZ zeigen, werden Küken, die den Qualitätsansprüchen nicht genügen, in einem sogenannten „Homogenisator“ geschreddert. Die, die die Aufzucht überleben, werden unter teils schrecklichen Bedingungen gehalten. Die Soko Tierschutz, ein gemeinnütziger Verein, der sich für Tierrechte einsetzt, hat in Wiesenhofbetrieben undercover gedreht.
In Deutschland gilt das Tierschutzgesetz und das Thema Tierwohl hat in den vergangenen Jahren an politischer Relevanz deutlich zugenommen. Warum also sind solche Umstände möglich? Das Problem liegt laut Tierschützern auch bei den Veterinärämtern, die eigentlich für die Kontrolle der Betriebe zuständig sind. Doch für die vorgeschriebene Untersuchung vor und nach der Schlachtung haben Kontrolleure nur etwa 1.5 Sekunden pro Tier Zeit. Über die Probleme bei der Überwachung der Betriebe spricht der Tierschützer Friedrich Mülln im SWR-Interview.
Fakt ist aber auch, solches Fleisch wird nur produziert, weil es gekauft wird. 400 Gramm Hähnchen-Minutenschnitzel für 2,79 Euro sind keine Seltenheit. Der Preis schont zwar den Geldbeutel, nicht aber Mensch, Tier und Umwelt. Ob Bio automatisch besser ist und wie häufig resistente Keime nachzuweisen sind, damit hat sich das HR-Magazin Ratgeber beschäftigt.