Lange Zeit die besten Freunde, irgendwann nur noch Kumpels und irgendwann verliert man sich auch in kleinen Dörfern dann doch aus den Augen. Während Lucas seine Ausbildung in der Forstwirtschaft abschließt, ist Kurt noch auf der Suche.
Cedric Retzmann gelingt in seiner Langzeitbeobachtung ein so intimer wie sensibler Blick in die Gemeinschaft junger Männer in der deutschen Provinz. Hier ist auch heute noch ein eigenes Auto identitätsstiftend. In der dünn besiedelten Gegend umgeben von dichten Wäldern im Norden Thüringens finden sie mit Anfang zwanzig ihr Ventil beim Driften - dem kontrollierten Übersteuern bei hoher Geschwindigkeit. Doch auf der Suche nach dem eigenen Lebensweg verändern sich ihre Freundschaften immer mehr. "Drifting Paradise" begleitet diese Dynamik und bietet Einblick in einen besonderen Mikrokosmos, geprägt von Fragen nach Identität, Zusammenhalt und dem Erwachsenwerden.
Cedric Retzmann studierte zunächst Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin, danach schrieb er sich für das Kamerastudium an der Film-Universität Babelsberg Konrad Wolf. ein. Als Kameramann arbeitete er unter anderem für "Penthesilea" (Regie: Maximilian Villwock), der 2018 auf 3sat ausgestrahlt und danach auf dem Camerimage Festival 2019 gezeigt wurde, und für den Kurzfilm "Panda III", der auf dem New Berlin Film Award 2017 mit dem Preis als "Bester Kurzfilm" ausgezeichnet wurde. "Drifting Paradise" ist sein Regiedebüt.
3sat zeigt "Drifting Paradise" im Rahmen der Reihe "Ab 18!", in der Regisseurinnen und Regisseure mit außergewöhnlichen Handschriften vom Erwachsenwerden erzählen.
Interview mit Cedric Retzmann
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?
2017 war ich auf der Suche nach einem gebrauchten Volvo und landete per Zufall auf Lucas' Instagram-Profil. Einen Volvo habe ich mir nicht gekauft, aber wir hielten den Kontakt und im Sommer 2018 besuchte ich ihn und seine Freunde für ein Wochenende und wir drehten ein paar Aufnahmen beim Driften. So habe ich auch Kurt und den restlichen Freundeskreis kennengelernt. Aus den Aufnahmen entstand dann die Idee, die Jungs für einen Film zu begleiten.
Was hat Sie an ihnen interessiert?
Eigentlich alles. Zu Beginn war es, glaube ich, aber vor allem die Art und Weise, wie der Freundeskreis seine Freizeit verbringt. Das Driften war hier natürlich ein Faktor, der erstmal extrem beeindruckend war, aber auch die atmosphärische Landschaft und der Zusammenhalt und die Gemeinschaft innerhalb des Freundeskreises. Fast alles wird gemeinsam erlebt, aber es entwickelt sich trotzdem auch jeder auf seine Weise und macht sein eigenes Ding
Wie kamen Sie darauf, dass daraus eine Geschichte werden könnte?
Ich glaube, ich hatte eigentlich nie den Anspruch, eine konkrete Geschichte vorzufinden oder zu erzählen. Gerade bei dokumentarischen Formaten liegt das Potenzial, finde ich, eher darin, losgelöst von einer konkreten Handlung eine bestimmte Welt, eine Persönlichkeit oder einfach nur ein Gefühl zu vermitteln. Das Projekt war für mich instinktiv von Anfang an als Langzeitbeobachtung über mehrere Jahre gedacht und über die Zeit hat sich dann ganz natürlich der Fokus auf das Erwachsenwerden von Kurt und Lucas und die Entwicklung und Dynamik ihrer Freundschaft gerichtet. Für ihr Vertrauen und die Offenheit aller Protagonistinnen und Protagonisten bin ich sehr dankbar.
Kann man die Drifting-Szene als eine Art Subkultur verstehen?
Ich denke ja. Auch wenn ich nicht weiß, ob man sagen kann, dass es eine homogene Drifting-Szene gibt. Mich hat das Thema immer fasziniert, ich kannte es aber vor allem aus Games und Musikvideos. Hier fand das Driften aus meiner Sicht eher stilisiert und als ästhetisches Mittel statt und fühlte sich dadurch immer weit weg an. Ich fand es dann sehr interessant im Laufe des Films zu sehen, dass sowohl die Autos als auch die Art und Weise, wie hier gedriftet wird, nicht wirklich dem Bild entsprachen, das ich bisher davon hatte. Es passierte einfach und war Teil der Persönlichkeit, was mir extrem gefiel, weil es das das Ganze entschärft und zu einem Teil des Alltags werden lässt.
War es von Vorteil, dass Sie Kamera und Regie in Personalunion gemacht haben?
Ja, sehr. Ich glaube, der Film wäre in einer "klassischen" Aufteilung und Teamgröße so nicht wirklich umsetzbar gewesen. Gleichzeitig muss ich sagen, dass mir diese intuitive Arbeitsweise sehr gut gefallen und mir bei meinem Regiedebüt ein sehr befreites Arbeiten ermöglicht hat.
Interview: Nicole Baum, 2021