Zwei Jahrestage, ein Demokratievergleich: 70 Jahre Grundgesetz und 100 Jahre Weimarer Verfassung geben Anlass zur Debatte, ob sich angesichts aktueller Entwicklungen die Frage nach einem Rückfall in "Weimarer Verhältnisse" stellt.
Zum 70. Geburtstag der Bundesrepublik und zum 100. Jahrestag der Weimarer Republik sehen manche Beobachter in der aktuellen Entwicklung unserer Demokratie zumindest Anzeichen, die an "Weimar" erinnern. Schwindende Bedeutung traditionsreicher Volksparteien, erschwerte Regierungsbildungen, Polarisierung politischer Lager in Krisenzeiten, Rechtsruck im Parteienspektrum, "völkische" und nationalistische Rhetorik, die den bisherigen Wertekonsens infrage stellen: All das rüttelt an der gewohnten Stabilität der demokratischen Staatsverfasstheit. Doch sind dies schon Warnrufe? Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie birgt Lehren, die dabei helfen können, die Gegenwart auszuloten.
Renommierte Fachleute für Geschichte, Politik- und Sprachwissenschaft wie Heinrich August Winkler, Frank Bösch, Ursula Büttner, Elisabeth Wehling, Hedwig Richter, Andreas Rödder, Manfred Görtemaker oder Andreas Wirsching nehmen Stellung. Sie sondieren, welche gegenwärtigen Symptome mit früheren Fehlentwicklungen vergleichbar sind oder nicht - ob in Bezug auf die Verfassungslage, ökonomische Bedingungen, Demokratieakzeptanz, die Entwicklung der Parteien- und Medienlandschaft sowie extremistischer Strömungen.
Auch prominente Zeitgenossen wie der BAP-Sänger Wolfgang Niedecken oder der Germanistikprofessor Guy Stern kommentieren den Ist-Zustand unserer Demokratie. Guy Stern, geboren 1922 in Hildesheim, dessen frühe Erinnerungen in die Zeit der Weimarer Republik zurückreichen, entkam der Judenverfolgung als 15jähriger durch die Flucht in die USA. Seine Familie wurde 1942 in den Tod deportiert. Filmaufnahmen aus dem Stadtarchiv Hildesheim, das dieses einzigartige Dokument aufbewahrt (Best. 900 Nr. 7), enthalten die letzten Aufnahmen von seinen Eltern vor dem Abtransport.