Depressionen zählen zu den häufigsten Volkskrankheiten der Welt. In vielen Fällen kann das „Leiden am Leben“ mit Medikamenten und Psychotherapien erfolgreich behandelt werden. Doch etwa 10 bis 30 Prozent der behandelten Menschen mit einer schweren Ausprägung sind therapieresistent. Bei ihnen helfen weder Antidepressiva noch zahlreiche Psychotherapie-Sitzungen. Diese Betroffenen mit therapieresistenten Depressionen sind die Zielgruppe der Tiefen Hirnstimulation (THS). Kleine Elektroden im Hirn sollen dafür sorgen, dass die Depression gelindert wird. Die THS ist allerdings kein Standardverfahren bei Depressionen und wird im Rahmen von Studien in einem placebokontrollierten Design durchgeführt.
Ansatz der Tiefen Hirnstimulation (THS)
Die Wissenschaftler rund um Studienleiter Prof. Dr. Schläpfer und Neurochirurg Prof. Dr. Coenen gehen davon aus, dass das Belohnungssystem bei der Depression eine wichtige Rolle spielt. In diesem Zusammenhang kommen sowohl dem Nucleus Accumbens als auch dem medialen Vorderhirnbündel als Hauptregulator des Belohnungssystems eine wichtige Rolle zu. Das mediale Vorderhirnbündel ist ein Nervenstrang, der vom tief liegenden Hirnstamm bis zur stirnseitigen Hirnrinde entlangführt. Vieles deutet darauf hin, dass dieser Bereich des Belohnungssystems bei Betroffenen mit einer schweren Ausprägung dysfunktional ist.
Implantation des Systems zur THS
Bei der Tiefen Hirnstimulation werden zwei Elektronen in den linken und rechten Zweig des medialen Vorderhirnbündels eingeführt. Diese Hirnstruktur ist Teil des Belohnungssystems im Gehirn. Es ist für das Erkennen, Verarbeiten und Bewerten von Emotionen zuständig. Die Einpflanzung der beiden Elektroden erfolgt unter lokaler Betäubung. Zum System gehört außerdem noch der Schrittmacher, der unter Vollnarkose in der Haut unter dem Schlüsselbein verankert wird. Damit das System funktioniert, muss dieser wiederaufladbare Impuls-Generator mit den Elektroden über ein unter der Haut an der Halsseite verlaufendes Kabel verbunden werden. Insgesamt ist zur Implantation des Systems der invasiven Hirnstimulation ein stationärer Aufenthalt von zirka fünf Tagen notwendig.
Technik und Einstellung der THS
Das komplette, voll implantierte System zur tiefen Hirnstimulation sitzt „unsichtbar“ unter der Haut. Es lässt von außen programmieren. Die Stimulationsstärke des Hirnschrittmachers bewegt sich zwischen 2,5 und 3 Milliampere. Der Patient hat die Möglichkeit, mit Hilfe einer Fernbedienung den Ladezustand zu überwachen beziehungsweise den Impuls-Generator an- und auszuschalten. Das ist beispielsweise bei MRT-Untersuchungen oder an den Security-Kontrollpunkten an Flughäfen erforderlich.
Risikofaktoren
Die tiefe Hirnstimulation ist ein neurochirurgisches Verfahren, das, wie bei jedem Eingriff im Gehirn, mit einem gewissen Nebenwirkungsrisiko einhergeht. Die Operation birgt die Gefahr einer Infektion sowie einer Blutung, was zu schweren Schäden bei den Betroffenen führen kann.
Nebenwirkungen
Einige Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer berichten, dass sie bei der Einstellung des Stärkegrads der Stimulierung kurzzeitig unter verschwommenem Sehen oder unter Doppelbildern litten. Diese Nebenwirkungen sind auf den Ort der Stimulation zurückzuführen, der ganz nah an den Augenmuskel-Kontrollkernen liegt. Da aber dieser Reflex der Betroffenen sofort eintritt, kann dieser bei der Anpassung des Hirnschrittmachers sofort berücksichtigt werden. Diese „Nebenwirkung“ hat somit den Vorteil, dass sie unmittelbar eine Überstimulation vorbeugt.
Bei Parkinson bereits bewährt
Das Verfahren der invasiven Hirnstimulation ist nicht neu. Es wird bereits seit fast drei Jahrzehnten bei Bewegungsstörungen wie Morbus Parkinson und Tremor erfolgreich eingesetzt. Zielgebiet im Hirn bei der Parkinson-Erkrankung ist allerdings der sogenannte „Nucleus subthalamicus“, eine Nervenzellansammlungen, die für die Motorik verantwortlich ist.
Ausblick
Die antidepressive Wirkung der tiefen Hirnstimulation ist noch nicht hinreichend wissenschaftlich abgesichert. Deswegen wird diese Therapie bislang nicht für Betroffene angeboten, bei denen weniger risikoreiche Behandlungsmethoden zum gewünschten Erfolg führen können. Sollte die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie in einer weiteren aktuell am Universitätsklinikum Freiburg laufenden Studie bestätigt werden, könnte dieses invasive Verfahren zur Standardtherapie für Betroffene mit einer schweren Verlaufsform werden. Die Studienergebnisse zeigen, dass gerade die Kombination aus Psychotherapie und Hirnstimulation die Depression signifikant reduzieren kann.
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