Quelle: dpa
31. August 2015, Berlin, Bundespressekonferenz: Hier stellen Journalistinnen und Journalisten, die aus der deutschen Hauptstadt berichten, ihre Fragen an Politiker und Politikerinnen - auch an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und da sagt sie unter anderem:
Besonders die Worte "Wir schaffen das!" wurden später oft wiederholt. Merkel sagte sie, weil im Sommer 2015 besonders viele geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen.
Was war damals los?
2015 gab es in mehreren Ländern Kriege und Kämpfe. Der Bürgerkrieg in Syrien war im Sommer 2015 besonders heftig - immer mehr Menschen machten sich deshalb von dort auf die Flucht Richtung Europa, auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben. Auch viele Menschen aus Irak, Afghanistan, Eritrea und Ländern in Nordafrika machten sich auf den Weg. Sie alle wollten nach Mitteleuropa - vor allem mit Booten über das Mittelmeer und auf dem Landweg über die sogenannte Balkanroute, also durch verschiedene Länder auf dem Balkan wie etwa Mazedonien und Serbien.
Im Sommer 2015 kamen viele der Geflüchteten auf der Balkanroute bis Ungarn. Das Land liegt am Rand der Europäischen Union, kurz EU. Ungarns Nachbarland Serbien ist nicht Mitglied in der EU, also hat Ungarn hier eine EU-Außengrenze. Deshalb ist Ungarn dazu verpflichtet, Flüchtlinge zu registrieren, also ihre Namen, Geburtsdaten und so weiter zu erfassen. Ohne so eine Registrierung darf man normalerweise nicht in die EU einreisen. Die ungarische Polizei stoppte deshalb die Geflüchteten zunächst und ließ sie nicht weiterziehen.
Viele Flüchtlinge wollten weiter nach Norden
Doch viele Flüchtlinge wollten nicht mehr warten, sie wollten weiter Richtung Norden. Am 4. September machten sich dann rund 3.000 von ihnen zu Fuß auf den Weg entlang der Autobahn Richtung Österreich und Deutschland. Das wurde auch "March of hope" genannt, also "Marsch der Hoffnung". Ungarn sagte, es könne die Flüchtlinge nicht mehr richtig registrieren, außerdem sei der Marsch am Rand der Autobahn gefährlich. Man werde die Menschen deshalb innerhalb weniger Stunden mit Bussen an die Grenze zu Österreich bringen – falls Österreich und Deutschland bereit seien, sie aufzunehmen.
Keine Kontrollen an den Grenzen
Bundeskanzlerin Merkel und der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann waren sich einig: Nur mit Gewalt hätte man die Geflüchteten aufhalten können - und das wollten sie vermeiden. Also entschieden sie, die Flüchtlinge von Ungarn nach Österreich und Deutschland weiterreisen zu lassen. Und dass es keine Kontrollen geben sollte und auch niemand registriert werden sollte.
Auch danach kamen noch viele Flüchtlinge nach Deutschland, ohne kontrolliert oder registriert zu werden. Deshalb wurde Merkel zum Teil stark kritisiert. Denn es war unklar, wer auf diesem Weg nach Deutschland kam. Es gab Streit in Deutschland um die Grenzkontrollen und auch Streit darum innerhalb von Europa.
Wie ging es dann weiter?
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Insgesamt wurden im Jahr 2015 in Deutschland etwa 890.000 Menschen in Zelten, Turnhallen, Schulen oder Schullandheimen untergebracht. Oft über Nacht bauten Organisationen wie zum Beispiel die "Malteser" oder das "Technische Hilfswerk" Unterkünfte auf. Bürgerinnen und Bürger spendeten Kleider, halfen Geflüchteten beim Deutschlernen, gingen mit ihnen für Erledigungen zu Ämtern oder nahmen sie bei sich zuhause auf. Diese große Hilfsbereitschaft ließ viele hoffen, dass Deutschland es tatsächlich gut schaffen würde, die geflüchteten Menschen aufzunehmen.
Es gab auch Kritik
Doch an Merkels Entscheidung, so viele Geflüchtete nach Deutschland zu lassen, gab es auch Kritik. So nannte etwa der damalige Ministerpräsident von Bayern, Horst Seehofer, die Entscheidung einen Fehler. Seehofer gehört der CSU an, der Schwesterpartei von Merkels Partei CDU. Die CSU forderte, man müsse die Zahl der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen dürfen, begrenzen, mit einer so genannten "Obergrenze". Zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU kam es zum Streit.
Probleme beim Zusammenleben
Nicht alle Geflüchteten lebten sich gut in Deutschland ein und integrierten sich hier, also fügten sich in die Gesellschaft ein. Sie hatten etwa Probleme, die deutsche Sprache zu lernen oder eine Arbeit zu finden. Und einige wurden auch gewalttätig.
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Die Partei AfD
Weil es auch Probleme mit dem Zusammenleben von Geflüchteten und Deutschen gab, und weil manche Menschen fanden, dass zu viele Geflüchtete kamen - auch deshalb hat die Partei AfD viele neue Anhängerinnen und Anhänger gefunden. Die AfD ist für strengere Regeln, was Flüchtlinge angeht.
Hass und Hetze
Seit 2015 und noch bis heute gibt es auch mehr Hass und Hetze gegenüber Menschen aus anderen Ländern in Deutschland. Allein im Jahr 2015 stellte die Polizei mehr als 1.000 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte fest. Darunter gab es mehr als 90 Brandstiftungen, das heißt jemand legte absichtlich Feuer.
Wie es mit der Flüchtlingspolitik weiterging
Nicht nur in Deutschland gab es Streit darüber, wie man mit den Geflüchteten umgehen sollte, sondern auch innerhalb der Europäischen Union, kurz EU. Die Mitgliedsstaaten konnten sich zum Beispiel nicht einigen, welches Land wie viele Flüchtlinge aufnehmen sollte. Auch gab es die Forderung, dass weniger Flüchtlinge in die EU kommen sollten. Da vor allem auf zwei Wegen viele Geflüchtete die EU erreichten - über die Balkanroute und von der Türkei aus über das Mittelmeer nach Griechenland, also in die EU - passierten bis März 2016 zwei Dinge:
- Die Länder Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien schlossen nacheinander ihre Grenzen für Flüchtlinge. Das bedeutete, dass die Balkanroute für Flüchtlinge versperrt war.
- Die EU und die Türkei machten einen Vertrag: Flüchtlinge, die unerlaubt in Griechenland ankommen, sollten von dort in die Türkei zurückgeschickt werden. Dafür sollte für jeden dieser zurückgenommenen Syrer ein anderer Syrer direkt von der Türkei aus in die EU kommen:
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Und heute?
- Bis Mitte 2016 nahm Deutschland rund 1,4 Millionen Geflüchtete auf. Danach kamen immer weniger Flüchtlinge und es wurden immer weniger Anträge auf Asyl, also Schutz, in Deutschland gestellt. Im Jahr 2019 waren es ungefähr 140.000 Asylanträge.
- Von den Menschen, die seit 2013 nach Deutschland geflohen waren, hatte im Januar 2018 fast die Hälfte (49 Prozent) eine Arbeit gefunden.
- Rund Dreiviertel lebten nicht mehr in Flüchtlingsheimen, sondern in normalen Wohnungen.
Doch es gibt noch immer keine Einigung in der EU. Kriege wie der Bürgerkrieg in Syrien gehen immer noch weiter. Und noch immer ertrinken Männer, Frauen und Kinder bei dem Versuch, mit klapprigen Booten über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
- Was sagt eine Expertin?
Haben wir es geschafft? Annette Treibel ist Wissenschaftlerin und hat sich mit dem Thema beschäftigt.