Wie Corona das Kulturleben ausbremst
Verändert das Virus die Gesellschaft?
Corona ist überall. Täglich erreichen uns Meldungen über neue Ansteckungszahlen. In China sind seit Wochen ganze Städte lahmgelegt, Italien hat zunächst Schulen und Universitäten geschlossen - inzwischen ist gar das ganze Land zu einer Sperrzone mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit erklärt worden. Auch in Deutschland breitet sich das Virus überall aus. Und damit die Verunsicherung: Wie umgehen mit dieser Situation? Sich einkapseln oder weiterleben wie bisher? Fragen, die sich jeder Einzelne stellt, auf die Institutionen und Unternehmen Antworten finden müssen. Fragen, die auch den Kulturbetrieb beschäftigen, natürlich. Kultur findet in weiten Teilen öffentlich statt, lebt von der Begegnung von Menschen – bei Konzerten, im Kino, im Theater, in Ausstellungen, bei Lesungen, öffentlichen Diskussionen. In Berlin greift Kultursenator Klaus Lederer nun durch: Alle großen Kultur-Veranstaltungen in den staatlichen Häusern sind bis zum 19. April abgesagt. Was bedeutet das eigentlich, wenn Kultur nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr stattfinden kann? Für Kulturschaffende, für die Veranstalter, für die Besucher? Und was bedeutet es für unsere Gesellschaft? Wie stark wird durch Empfehlungen oder Anordnungen von politischer oder amtlicher Seite die individuelle Freiheit beschnitten? Ist das berechtigt oder Panikmache? aspekte fragt nach – bei betroffenen Künstlern und Veranstaltern; bei Soziologen und Historikern, die sich mit den gesellschaftspolitischen Auswirkungen auseinandersetzen.
Musik im Studio
Quelle: Dovile Dermokas
Auf der aspekte-Bühne: Lisa Bassenge mit "Joanne" (Tour-Termine)
"Prügel" von Antje Joel
Ist häusliche Gewalt ein Tabuthema?
Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Expartner umgebracht. 122 Frauen waren es 2018, so das Bundeskriminalamt. Was oft als Familiendrama unter der Rubrik "Vermischtes" erscheint, ist in Wahrheit Femizid, sagen Frauenrechtlerinnen. Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem - genau wie Partnergewalt überhaupt. Rund 140.000 Fälle, in denen Frauen von ihren Männern verletzt wurden, sind 2018 polizeilich erfasst worden. Die Dunkelziffer wird von Experten wesentlich höher geschätzt. Jede dritte bis vierte Frau hat in ihrem Leben häusliche Gewalt erlebt, sagt der aktuelle Kampagnen-Spot des Bundesfamilienministeriums. Ist Partnergewalt also der blinde Fleck der MeToo-Bewegung?
Gesprächsgast im Studio:
In "Prügel. Eine ganz gewöhnliche Geschichte häuslicher Gewalt" beschreibt die preisgekrönte Journalistin und Buchautorin Antje Joel die Mechanismen von Partnergewalt. Sie erzählt von ihren eigenen Gewalterfahrungen, vor allem davon, wie sie in ihrer ersten Ehe über Jahre geschlagen wurde. Damit bricht sie ein Tabu. Von ihren Eltern musste sie sich Sätze anhören wie: "Selbst schuld. Warum lässt du dir das gefallen?" Joel wirft der Gesellschaft vor, sie bürde den Opfern die Verantwortung für die Taten auf. Gerhard Hafner, einer der Begründer der Täterarbeit in Deutschland und Co-Autor des Fachbuches "Häusliche Gewalt. Handbuch der Täterarbeit", spricht mit aspekte über veraltete Vorstellungen von Männlichkeit.
Heimatliteratur: Das gespaltene Land
Das Deutschlandbild in neuen Romanen
Der Bücherfrühling ist beides in diesem Jahr: aufregend und beunruhigend zugleich. Er zeichnet ein gespaltenes Land, das eine schleichende Radikalisierung durchläuft - zumindest in der Literatur. Drei Autoren beleuchten die Ausweitung der Kampfzone aus ganz unterschiedlichen Perspektiven - in Chemnitz, Dresden und Heilbronn: Wenn Kraftklub im angesagten Club Atomino spielt, kann Chemnitz richtig schön sein. Aber wer geht schon freiwillig nach Chemnitz? Gisela hat es getan. Sie ist Heldin und Alter Ego von Paula Irmschler, die mit ihrem Romandebüt "Superbusen" einen Antifa-Roman geschrieben hat, der zwischen Tränen und Loslachen surft. Im Zentrum: die Gründerinnen der Band "Superbusen", die sich mit ihrer Frauenpower nicht nur lautstark zu Wort melden, wenn die rechten "Zecken" die Straße erobern wollen, sondern auch äußerst skeptisch auf jene schauen, die als Touristen zum "Wir sind mehr"-Konzert anreisen und noch schneller wieder weg sind. Dann nämlich sind die jungen Frauen tatsächlich ziemlich allein - und nicht all zu viele. Paula Irmschler beschreibt, sie erklärt nicht.
Gesprächsgast im Studio:
Ganz anders als Ingo Schulze, der in seinem neuen Roman "Die rechtschaffenen Mörder"die Radikalisierung der bürgerlichen Mitte in Dresden in den Fokus nimmt. Sein Protagonist, der Antiquar Paulini, hatte es geschafft, sich in der DDR in der Nische einzurichten - mit einer Welt aus Büchern. Seine Passions-Geschichte wendet sich mit den Umbrüchen von 1989/90. Es ist die Geschichte einer schrittweisen Vertreibung: aus seinem Bücherparadies, aus seinem Haus, aus seiner Liebe. Elbe-Hochwasser und Alteigentümer besorgen den Rest. Am Ende bleibt in diesem doppelbödigen Roman ein Mann, der sein humanistisches Erbe über Bord wirft und von Kanaken palavert, vielleicht sogar Gewalt gegen Geflüchtete anstiftet. Dass ein solcher rechter Aufbruch nicht ohne Folgen bleiben kann, schildert in seinem kinoreifen Debüt "Hawaii" der Heilbronner Cihan Acar. Hawaii ist das Problemviertel der Stadt, hier ist sein Held Kemal aufgewachsen. Fast schien er rauszukommen aus dem Loch - als Profi-Fußballer in der Türkei. Doch am Ende landet er wieder da, wo er herkommt. Nur kleben inzwischen überall "Heilbronn Wach Auf"- Aufkleber in der Stadt und seine Community macht Gegendruck. Zuhause bleiben oder den Rechten den Schädel einschlagen? "Wer allein bleibt, den frisst der Wolf", sagen seine Freunde. Kemal muss sich entscheiden.
- Moderation - Katty Salié, Jo Schück