Guten Abend,
wieder einmal erscheint Deutschland zögerlich, ist ein Nato-Partner schneller und unkomplizierter, was Waffenlieferungen für die Ukraine angeht. US-Präsident Joe Biden verspricht der Ukraine Mehrfachraketenwerfer - in einem Gastbeitrag der "New York Times". Bundeskanzler Olaf Scholz sagt dagegen ein Luftabwehrsystem zu - in der Generaldebatte des Bundestags.
Allein die Art der Bekanntmachung des jeweiligen Oberbefehlshabers der Streitkräfte zeigt: Die USA haben ein ganz anderes Verhältnis zu Waffenlieferungen als Deutschland (wobei hier anzumerken ist, dass der Bundeskanzler nur im Verteidigungsfall Oberbefehlshaber der Bundeswehr ist, in Friedenszeiten ist es die Verteidigungsministerin).
Noch klarer wird das, wenn man sich ansieht, um welche Waffen es geht. Die USA liefern mobile Mehrfachraketenwerfer (HIMARS) und damit genau die Waffen, die ukrainische Befehlshaber seit Wochen fordern, um sich gegen russische Angriffe mit vergleichbaren Systemen zu wehren.
HIMARS kann Artillerieraketen auf eine Entfernung bis zu 80 Kilometer abfeuern und - noch während die Raketen auf ihrer tödlichen Flugbahn sind - die Position wechseln. Es ist eine Waffe, um anzugreifen, um Feuer mit Feuer zu bekämpfen, mit speziellen Raketen sogar über eine Entfernung von 300 Kilometern. Die werden die USA aber nicht liefern, zu aggressiv wäre dieses Signal an Russland. Und sowieso: Die Ukraine habe den USA versprochen, auch mit den weniger weit fliegenden Raketen nicht auf russischen Boden zu schießen, denn wie Biden sagte: "Wir wollen keinen Krieg zwischen der Nato und Russland."
Dennoch: Einen solchen Krieg müssten die USA weniger fürchten als Deutschland - allein wegen ihrer geografischen Lage und dem nuklearen Abschreckungspotential. Auch deswegen verspricht Scholz heute "nur" das Flugabwehrsystem Iris-T, ein Ortungssystem, das Artilleriestellungen aufspüren soll und MARS II-Raketenwerfer: Keins der Systeme ist für Angriffe auf so weit entfernte Ziele geeignet, so wie die anderen bislang angekündigten Waffensysteme aus Deutschland auch nicht.
Selbst die hochmoderne Panzerhaubitze 2000 schießt mit Standardmunition nur 30, mit Spezialmunition 56 Kilometer weit.
Und so zeigt der heutige Tag: Die US-Strategie bei Waffenlieferungen für die Ukraine lautet inzwischen: Feuer mit Feuer bekämpfen. Eine Strategie, bei der Deutschland nicht mitgehen kann - aus Angst, damit einen Flächenbrand auszulösen.
Was heute im Ukraine-Krieg passiert ist
- Die strategisch wichtige Stadt Sjewjerodonezk in der Ostukraine ist dem Gouverneur der Region Luhansk zufolge zu 70 Prozent unter russischer Kontrolle. Einige ukrainische Truppen hätten sich zu bereits vorbereiteten Stellungen zurückgezogen, sagt Gouverneur Serhij Gaidai.
- Die von Russland besetzte Region Cherson im Süden der Ukraine ist von allen Kommunikationskanälen abgeschnitten worden. Das teilt die ukrainische Behörde für Kommunikation und Datenschutz mit. Zuvor hätten ukrainischen Streitkräfte einige Erfolge nahe der Stadt Cherson im Süden des Landes erzielt und sie würden in Teilen der Region Charkiw östlich von Kiew vorstoßen, sagt Präsident Wolodymyr Selenskyj.
- Mehr als fünf Millionen Kinder aus der Ukraine sind nach Angaben des Kinderhilfswerks Unicef wegen des Krieges in ihrem Heimatland auf humanitäre Hilfe angewiesen. In der Ukraine selbst bräuchten nach dem russischen Angriff etwa drei Millionen Kinder Unterstützung, teilte die UN-Organisation am Mittwoch in New York mit. Hinzu kämen etwa 2,2 Millionen Kinder, die inzwischen in andere Länder geflohen seien.
Die aktuellen Entwicklungen am 98. Tag im Ukraine-Krieg fassen wir in unserem Überblick zusammen. Weitere News-Updates zur Lage und zu Reaktionen erhalten Sie jederzeit auch in unserem Liveblog zu Russlands Angriff auf die Ukraine.
Was darüber hinaus wichtig ist
Schlagabtausch zwischen Merz und Scholz: In der Generaldebatte im Bundestag gab es heute einen hitzigen Schlagabtausch um Deutschlands Kurs in der Ukraine-Politik. Unions-Fraktionschef Merz provozierte, Kanzler Scholz ging in den Angriffsmodus über, wie meine Kollegin Kristina Hofmann analysiert.
Preise an Tankstellen fallen teils deutlich: Die seit Mitternacht geltende Senkung der Energiesteuer hat zu teils deutlich fallenden Spritpreisen an Tankstellen geführt. Das zeigt ein erster Vergleich der Spritpreise an etwa 400 Tankstellen.
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