Telegram ist eine beliebte Whatsapp-Alternative - aber auch ein digitaler Rückzugsort für Radikale. Telegram lässt sie gewähren. Was kann der Staat tun?
Das Internet soll kein rechtsfreier Raum sein. Darüber herrscht in der Theorie Einigkeit. In der Praxis aber finden im Netz massenweise Gesetzesverstöße statt: Beleidigungen, Bedrohungen und Aufrufe zu Gewalt. Zuletzt berichtete das ZDF-Magazin "Frontal" über Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten auf Telegram. Während andere Plattform-Betreiber wie Facebook oder Twitter mittlerweile verstärkt gegen rechtswidrige Inhalte in ihren Netzwerken vorgehen, löscht oder sperrt Telegram nur selten.
Telegram ist ein Messenger-Dienst und ein Netzwerk
Telegram ermöglicht es, private Nachrichten auszutauschen, ähnlich wie der WhatsApp-Messenger. Daneben können Nutzerinnen und Nutzer über den Dienst aber auch öffentlich kommunizieren, in Gruppen mit bis zu 200.000 Mitgliedern oder über so genannte Kanäle.
Wegen dieser Funktionen stufen deutsche Justizbehörden Telegram mittlerweile nicht mehr als bloßen Messenger, sondern als soziales Netzwerk ein. Damit fällt der Dienst unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das verpflichtet Anbieter sozialer Netzwerke dazu, rechtswidrige Inhalte auf ihren Plattformen zu löschen, wenn sie ihnen gemeldet werden. Ab Februar 2022 gilt zudem die Pflicht, bestimmte strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden, inklusive der IP-Adresse, über die der Nutzer identifizierbar ist.
Politiker im Visier von Impfgegnern
Telegram hält diese Verpflichtungen nicht ein. Das Unternehmen mit Sitz in Dubai ist für deutsche Behörden bislang nicht erreichbar. Das zuständige Bundesamt für Justiz hat Telegram zwar Bußgelder in Millionenhöhe angedroht. Diese im Nicht-EU-Ausland einzutreiben, ist jedoch ein schwieriges Unterfangen. Das Justizbundesamt ist dafür auf Amtshilfe aus Dubai angewiesen.
Telegram in Deutschland blockieren?
Um Druck auf Telegram auszuüben, wird diskutiert, den Dienst in Deutschland zu blockieren. Doch solches Geoblocking dürfte sowohl rechtlich als auch technisch schwierig umzusetzen sein, erläutert der Medienrechtler Rolf Schwartmann von der Technischen Hochschule Köln im Gespräch mit ZDFheute. Um Telegram zu blockieren, müsste man wissen, von wo aus dessen Server senden. Schalte man den Dienst in Deutschland ab, verlören außerdem auch alle jene, die Telegram legal nutzen, eine Kommunikationsplattform.
Ein anderer Weg: Die meisten Smartphone-Nutzer laden die Telegram-App über die App-Stores von Google und Apple herunter. Nähmen diese Telegram aus dem Sortiment, dürfte das die Verbreitung der App stark einschränken. Doch ob der deutsche Staat Google und Apple verpflichten kann, Telegram zu verbannen, ist rechtlich zweifelhaft.
EU plant eine Art europäisches NetzDG
Ein Patentrezept, um für Rechtsdurchsetzung auf Telegram und in anderen digitalen Räumen zu sorgen, ist also nicht in Sicht. Auf EU-Ebene befindet sich der "Digital Services Act", eine Art europäisches Netzwerkdurchsetzungsgesetz, im Gesetzgebungsverfahren. Auf nationaler Ebene hat die Ampel-Koalition ein Gesetz gegen digitale Gewalt in Aussicht gestellt. Es soll unter anderem "richterlich angeordnete Accountsperren" vorsehen.
Um solche Sperrungen umzusetzen, braucht es aber die Kooperation der Betreiber. Sitzen diese in Dubai, bleiben den Sicherheitsbehörden nur langwierige Amtshilfeersuchen, um die Kooperation zu erzwingen. Oder sie müssen Internet-Straftäter mit klassischer Ermittlungsarbeit ohne Unterstützung der Internetanbieter identifizieren und gegen sie vorgehen. Dass das mit hohem Verfolgungsdruck gelingen kann, beweisen die Razzien am Mittwoch gegen die Mitglieder der sächsischen Gruppe, die auf Telegram Mordpläne gegen Sachsens Ministerpräsidenten besprach.
So zeigt der Rechtsstaat, dass auch im Internet Gesetzesverstöße spürbare Konsequenzen nach sich ziehen - unabhängig von der Unterstützung Telegrams oder anderer Internetunternehmen.