Die Gesundheitsämter rüsten digital in der Pandemie auf. Doch das hilft nicht wirklich, solange nur die Aktenweitergabe digital läuft. In der Pandemie ist das sogar fatal.
Über Digitalisierung im Gesundheitswesen und deren Pannen wird auf dem alljährlich zwischen Weihnachten und Silvester stattfindenden Hackertreffen des Chaos Computer Club schon seit langer Zeit diskutiert. In diesem Jahr geht es insbesondere um digitale Impfzertifikate, die Luca-App und Tools für die Kontaktnachverfolgung.
Aber auch die Corona-Warn-App und Software für Impfportale stehen auf der Tagesordnung. Der Frust über Systeme, die nicht reibungslos funktionieren, ist groß.
IT-Infrastruktur entscheidet
Gleichwohl gibt es auch viele Verbesserungsvorschläge. Die richten sich sowohl an die Politik als auch an die Leiter der Gesundheitsämter und das Robert-Koch-Institut.
Den wichtigsten und grundlegendsten Vorschlag hat IT-Entwicklerin Bianca Kastl so auf den Punkt gebracht:
Viele Konferenzteilnehmer finden, dass sich die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung dieses Prinzip ausdrucken und auf ihren Schreibtisch stellen sollten. So haben Länderfürsten und Mitglieder der Bundesregierung sehr gelobt, dass immer mehr Landkreise und Städte in Sachen Pandemiebekämpfung auf das Sormas-System vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung setzten.
"SORMAS" steht dabei für "Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System".
Deutsche Behörden sind schlecht gerüstet für den digitalen Fortschritt. Wohnort ummelden, Auto anmelden und Personalausweis beantragen wird meistens zum Geduldsspiel.
Sie nutzen dabei die Schnittstelle von Sormas zum Survnet des Robert-Koch-Instituts (RKI). Dennoch klappt die Übermittlung von Infektionszahlen an das RKI nicht so schnell und unproblematisch, dass ein Bild der Infektionslage in Echtzeit vorliegt.
System der Meldeketten wurde nicht angepasst
Bianca Kastl hat das am Beispiel der Meldekette von Corona-Zahlen mit dem der Survnet-Meldekette eindrucksvoll demonstriert. Die Struktur der Meldekette stammt aus dem Jahr 2006. Damals ging man noch von einer Übermittlung per Fax aus.
Als dann die elektronische Datenübermittlung per Sormas und Survnet eingeführt wurde, ist diese Meldekette unverändert geblieben. Sie war ursprünglich auf Meldezeiträume von mehr als einer Woche ausgelegt, bis die in den Testlabors aktuell erhobenen Daten das Robert-Koch-Institut erreichten.
Das sorgt für einen immer noch viel zu langen Zeitraum, in dem die Infektionsdaten übermittelt werden.
Das Papier aus dem Jahre 2006 sieht vor: 493 Gesundheitsämter übermitteln ihre Daten an 16 Landesgesundheitsämter, die diese Daten dann trotz digitalen Meldewegs erst einmal sammeln und noch einmal verwaltungstechnisch aufbereiten, bevor die dann an das Robert-Koch-Institut gehen.
Verwaltungsstruktur statt Digitallösung
Würden die Gesundheitsämter direkt an das RKI melden, würde das den Übertragungszeitraum wesentlich verkürzen. Außerdem könnte ein Lagebild in Echtzeit entstehen, wenn die Daten nicht nur einmal am Tag, sondern fortlaufend übermittelt würden.
Ähnlich lagen die Probleme bei der missglückten Verteilung vom Impfstoff zu Beginn des Jahres. Geplatzte Impftermine, unterbrochene Lieferketten, übriggebliebene Impfdosen und falsche Impfpräparate an Impfzentren verhinderten einen raschen Anfangserfolg beim Impfen.
Hier wurden und werden Salesforce und SAP neben der Biontech-Softwarelösung eingesetzt. Bundesweit gesehen gibt es einen Flickenteppich an Logistik-Lösungen. Vor allen Dingen fehlen Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Softwaresystemen.
Hier wurde eben zuerst an die jeweilige Logistik-Anwendung gedacht und übersehen, dass Schnittstellen zwischen den Anwendungen fehlten. Wäre auch hier zunächst die Logistik-Infrastruktur entwickelt worden, danach die erforderlichen Schnittstellen und dann erst die jeweilige App, hätten die Verteilprobleme von vornherein vermieden werden können.
Chaos Computer Club wollen Expertise in politischen Gremien einbringen
Auf dem Impfgipfel im Februar, den die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufen hatte, wurden die Vorschläge aus der Zivilgesellschaft nicht gehört. Die Nerds des Chaos Computer Clubs haben daraus eine Lehre gezogen.
Sie wollen ihre Expertise stärker als bisher in die Gremien der politischen Entscheidungsfindung einbringen. Denn Verwaltungsstrukturen lassen sich nicht aus den Verwaltungen heraus ändern. Da müsse eben Druck der politischen Leitungsebene aufgebaut werden.
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