Die Macht der Internetplattformen begrenzen: Dazu hat das EU-Parlament weitreichende Gesetzesänderungen verabschiedet. Doch lässt sich damit auch Gewalt und Hass im Netz eindämmen?
Bedrohungen, Beleidigungen, Diskriminierungen oder sexuelle Belästigungen – wenn von Hatespeech im Netz die Rede ist, geht es vor allem um Gewalt und Hass auf Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter oder YouTube.
"Behinderte, hässliche Kanakenfotze, verpiss dich aus Deutschland!" oder "Geh in die Wüste Esel ficken!“ - solche Nachrichten erreichen die SPD-Politikerin Sawsan Chebli täglich - bis hin zu Morddrohungen. Sie bereiten ihr Sorge, vor allem aber machen sie solche Hasskommentare im Netz auch wütend.
Mehr Schutz durch "Digital Services Act"
Wenn Chebli versucht, Täter ausfindig zu machen oder juristisch zu belangen, scheitert sie in neun von zehn Fällen. Zu groß ist die Macht der Internetplattformen, zu wenig rechtliche Mittel kann sie einlegen. Doch das soll sich jetzt ändern: Das Europäische Parlament stimmte heute in Straßburg dem "Digital Services Act", kurz DSA, zu.
Mit diesem Gesetz über digitale Dienste soll das Netz ein freierer und sichererer Raum für die Nutzer werden. Ziel der Europäischen Union ist es, mit dem "Digital Services Act" so etwas wie ein Grundgesetz fürs Internet zu schaffen.
- BKA will Druck auf Telegram erhöhen
Bislang kooperiert Telegram kaum mit den Behörden, wenn es um den Kampf gegen Rechtsextremismus geht. Das BKA will den Druck jetzt erhöhen - mit mehr Löschanfragen.
Neues Gesetz ein Tiger oder Bettvorleger?
Künftig sollen mit dem DSA unter anderem die Bekämpfung illegaler Produkte, Dienste und Inhalte im Internet geregelt, Nutzern von Dienstleistungen Anspruch auf Schadenersatz ermöglicht oder besser vor Desinformation geschützt werden. Die Zustimmung des EU-Parlaments gilt als gesichert.
Eine Überarbeitung des mehr als 20 Jahre alten E-Commerce-Gesetzes war längst überfällig. Nur wird die neue Gesetzgebung zum kraftvollen Tiger werden oder doch eher als Bettvorleger enden?
Kritik an Gesetz: Opfer kaum im Fokus
"Insgesamt hätten wir uns einen stärkeren Fokus auf den Schutz vor digitaler Gewalt gewünscht", bemängelt Josephine Ballon. Die Rechtanwältin engagiert sich bei der Betroffenenorganisation "Hateaid" seit Jahren für die Opfer digitaler Gewalt und findet, dass das Gesetz zu kurz greife. Ihrer Meinung nach ist es "naiv, sich auf die Bekämpfung systemischer Risiken zu beschränken, da diese digitale Gewalt nicht beseitigen werden".
So wird im Gesetz wohl zwar klar geregelt sein, wie im Fall von Gewalt und Hass im Netz vorzugehen ist. Und Betroffene können die Internetplattformen wie Facebook, Instagram, YouTube, Twitter & Co. künftig bitten, die betreffenden Kommentare im Netz zu löschen.
Löschpflicht weiter nicht geplant
Doch Ballon sieht das kritisch:
Eine Löschpflicht sei nach wie vor nicht geplant, sodass es sogar fraglich sei, ob Aufsichtsbehörden durchsetzen können, dass Inhalte gelöscht werden. "Wenn Sie mich fragen, tendiere ich dazu zu sagen, das wird nicht funktionieren", so die Rechtsanwältin pessimistisch.
Gesetz bis Ende Juni 2022 unter Dach und Fach?
Trotzdem scheint Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron das ambitionierte Ziel zu verfolgen, das Gesetz noch während seiner EU-Ratspräsidentschaft bis 30. Juni 2022 endgültig zu verabschieden - rekordverdächtig, zumindest der Zeitplan.
Die SPD-Politikerin Chebli hat ihre Konsequenzen schon gezogen und ihren Facebook-Account, auf dem sie eine Vielzahl von Hasskommentaren erhalten hat, mittlerweile gelöscht.
- Telegram-Gruppe kooperierte mit US-Neonazis
In der Telegram-Gruppe "Dresden Offlinevernetzung" wurden Anleitungen für Terroranschläge, Überfälle und zur Sprengstoffbeschaffung geteilt. Involviert ist ein US-Neonazi-Netzwerk.