Abtreibungen in USA: Bald Strafverfolgung mit Zyklus-Apps?

    Abtreibungsurteil in den USA:Bald Strafverfolgung mit Zyklus-Apps?

    Autorenfoto Nils Metzger
    von Nils Metzger
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    In Teilen der USA ist Abtreibung nun illegal. Behörden können gegen Frauen und Anbieter ermitteln. Digitale Daten in Gesundheits-Apps werden zum Risiko. Betroffene sind in Panik.

    Eine Zyklus-App auf einem Smartphone liegt im Badezimmer neben Slipeinlagen und einem Gefäß mit Tampons.
    Millionen Frauen tracken Menstruation und Schwangerschaft mit Apps. In den USA könnten die Daten nun zur Strafverfolgung bei Abtreibung genutzt werden.
    Quelle: dpa

    Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes der USA, das Recht auf Abtreibung zu kippen, bedeutet weit mehr als einen Rückschritt in die Zeit vor das "Roe vs. Wade"-Urteil von 1973. Anders als damals stehen Behörden heute ungekannte digitale Möglichkeiten offen, echte und vermeintliche Abtreibungen und alle daran Beteiligten strafrechtlich zu verfolgen.

    Wir begeben uns in eine Ära nicht nur unsicherer Abtreibungen, sondern der weitreichenden Kriminalisierung von Schwangerschaft.

    Autorin Jia Tolentino in einem Essay im "New Yorker"

    Das betreffe nicht nur Schwangere, sondern auch Ärzte, Apotheker, Freunde und alle anderen, die mit einer Schwangerschaft in Kontakt kommen, die nicht in einer gesunden Geburt ende, schreibt Tolentino im "New Yorker". In vielen US-Staaten geht bald mit jeder Komplikation die Sorge einher, Ziel von Ermittlungen zu werden - bis hin zu Mordermittlungen - oder eine berufliche Zulassung zu verlieren.

    Schwangerschaft und Abtreibung hinterlassen digitale Spuren

    Die ersten Konsequenzen sind bereits spürbar. Die sozialen Medien sind voller Berichte von Betroffenen, deren laufende Behandlungen unterbrochen wurden, Apotheken, die Rezepte stornieren. Das Verschreiben von Medikamenten, das Buchen eines Beratungs- oder Arzttermins, all das hinterlässt im digitalen Zeitalter Spuren.
    Eines der größten Diskussionsthemen: Gesundheits-Apps, etwa zum Tracken der Periode. "Löscht jetzt eure Perioden-Tracker-Apps!", ist eine seit gestern hunderttausendfach geteilte Warnung im Netz. Behörden können die in den Apps hinterlegten Daten vor Gericht nutzen, um etwa zu belegen, dass jemand schwanger war. Digitale Spuren machen es auch schwieriger, in einen anderen US-Bundesstaat zu reisen, um dort eine legale Abtreibung vornehmen zu lassen.
    Viraler Aufruf im Netz, Zyklus-Apps zu löschen
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    Bürgerrechtsorganisation ruft Tech-Firmen zu Datenlöschung auf

    "Wir leben in einer Zeit ungekannter digitaler Überwachung", schreibt Eva Galperin, Direktorin für Cybersicherheit bei der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, auf Twitter.

    Wenn Tech-Firmen nicht möchten, dass ihre Daten für eine Großfahndung gegen Menschen genutzt werden, die Abtreibungen in Anspruch nehmen oder diese anbieten, müssen sie jetzt damit aufhören, diese Daten zu erheben.

    Eva Galperin, Electronic Frontier Foundation

    Daten von Suchmaschinen, Geo-Daten, Kontaktlisten, der Inhalt und die Meta-Daten von Nachrichten - all das seien mit Blick auf Abtreibungen sensible Informationen. "Habt sie nicht verfügbar, wenn die Datenabfrage [der Behörden] kommt", ist Galperins Aufruf an Tech-Unternehmen.

    Wie können Gesundheitsdaten vor US-Zugriff geschützt werden?

    Einer der größten Anbieter von Zyklus-Apps in den USA ist die Berliner Firma Clue. Auf ihrer Webseite teilt die Firma am Freitag mit:
    "Mit Blick auf die wachsende Kriminalisierung von Abtreibungen in den USA verstehen wir, dass viele unserer US-Kunden in Sorge sind, dass ihre Daten von US-Staatsanwaltschaften gegen sie genutzt werden können", schreibt Clue. "Als europäische Firma sind wir gemäß der weltweit strengsten Datenschutzgesetze, der DSGVO, verpflichtet, besondere Schutzmaßnahmen für Gesundheitsdaten vorzunehmen."
    Sind die Daten also sicher, solange sie nur auf Servern innerhalb der EU gespeichert werden? So einfach kann das nicht beantwortet werden. Wie bei anderen kommerziellen Anbietern enthalten auch die Clue-Geschäftsbedingungen Passagen, die die Weitergabe von Daten zur Strafverfolgung ermöglichen. Konkrete Nachfragen dazu hat die Firma bislang nicht beantwortet.

    App-Anbieter in Sorge, Kunden zu verlieren

    Auch andere Tracking-Apps reagieren auf das Urteil und versuchen, mit verschiedenen Maßnahmen Vertrauen zurückzugewinnen. Der "Flo Period Tracker" mit nach eigenen Angaben 43 Millionen Nutzern kündigte die Einführung eines "anonymen Modus" an. Nutzer sollen so angeblich nicht mehr identifiziert werden können. Wie andere Anbieter auch, betont Flo, aktuell keine Nutzerdaten zu verkaufen.
    2019 wies ein Bericht des "Wall Street Journal" Flo jedoch nach, sensible Nutzerdaten mit Facebook geteilt zu haben, ohne Nutzer angemessen darüber zu informieren. 2021 ging die Firma darum einen Vergleich mit der Aufsichtsbehörde FTC ein.

    Das Teilen von Daten birgt Risiken

    Drittanbieter und das Teilen von Nutzerdaten zwischen verschiedenen Apps können Behörden den Zugriff erleichtern. Quasi alle Internetdienstleistungen nutzen Drittanbieter, um Daten auszuwerten oder zu verwalten. Wo deren Server stehen, kann so eine wichtige Rolle spielen – und ist für Nutzer kaum zu überblicken.
    Indem man anderen Apps Zugriff auf eigentlich geschützte Daten gewährt, können Nutzer unwissentlich ihre Sicherheit gefährden. Wer etwa seine Zyklusdaten beim EU-Anbieter Clue mit einem Anbieter wie Apple Health teilt, hat seinen Datenschutz selbst ausgehebelt.
    Quelle: Mit Material von Reuters

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