DFB-Frauen müssen sich in der K.o.-Runde steigern

    Kritische Analyse tut not

    von Von Frank Hellmann, Utrecht
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    Dzsenifer Marozsán verwandelt den Elfmeter zum 2:0 gegen Russland.

    Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft kann wie so viele Favoriten bei dieser EM in der Vorrunde nur bedingt überzeugen. Das fast ausnahmslos positive Fazit der Bundestrainerin wirft nach dem 2:0 gegen Russland mehr Fragen auf als es Antworten gibt.

    Anja Mittag war es, die noch weit vor Mitternacht das erste Jubelfoto aus der deutschen Kabine über die sozialen Netzwerke veröffentlichte. Spielerinnen in Trikots oder Sportunterwäsche, die Fäuste ballen, das Siegeszeichen machen oder einfach nur strahlen. Titel: "viertelfinale". Die 32 Jahre alte Stürmerin, mit 157 Einsätzen die mit Abstand Erfahrenste bei der Nationalmannschaft, weiß eben, worauf es bei einem Turnier ankommt. Gerade bei den Titelsammlerinnen aus Deutschland.
    Die Vorrunde überstehen. Irgendwie. Und wenn es dabei nicht rund läuft, hat das eigentlich schon Tradition. Insofern fügt sich das Weiterkommen in ein altbekanntes Bild. "Nervenaufreibend in positivem Sinne" sei es gewesen, sagte Steffi Jones und wirkte doch entspannt. "Bis auf die Torabschlüsse bin ich mit dem Sieg zufrieden. Es war eine große Leistung, was Laufbereitschaft und Wille angeht."

    Bis auf die Torabschlüsse bin ich mit dem Sieg zufrieden. Es war eine große Leistung, was Laufbereitschaft und Wille angeht.

    Bundestrainerin Steffi Jones

    "Die Maschinerie ist ins Rollen gekommen"

    Und dann setzte die fröhliche Powerfrau noch einen drauf: "Wir haben wieder eine Steigerung gesehen. Der Knoten platzt, die Maschinerie ist jetzt ins Rollen gekommen." Eine Meinung, die nicht viele der 6458 Zuschauer an diesem regnerischen Abend in Utrecht geteilt haben.
    Auch Vertreter aus der Frauen-Bundesliga, Berater oder Scouts anderer Nationen dürften sich über so viel Optimismus gewundert haben. Denn: Genau wie bei anderen Topnationen liegt in Wahrheit auch beim Titelverteidiger gerade in der Vorwärtsbewegung vieles im Argen. Es fehlen die eingeschliffenen Automatismen und einstudierten Abläufe, die es bei den vielen Wechselspielen mit dem Personal aber vielleicht noch gar nicht geben kann.

    Drei der vier Vorrundentore waren Strafstöße

    Ergo: Die "harmoniebedürftige" Bundestrainerin (Anja Mittag im ZDF-Interview beim Medientag über Steffi Jones) forderte im kleinen Presseraum des Stadion Galgenwaard geradezu Widerspruch heraus. Wo bitte blieb bei der 44-Jährigen der kritische Ansatz, außer dass von 29 Schussversuchen, davon elf auf das Tor der durchaus tüchtigen russischen Torhüterin Tatiana Scherbak, zu wenig einbrachten?
    Babett Peter (10.) und Dzsenifer Marozsan (56.) brauchten Strafstöße, um den Pflichtsieg gegen einen international nun wahrlich zweitklassigen Gegner unter Dach und Fach zu bringen. Damit resultierten drei der vier deutschen Vorrundentreffer aus Elfmetern, der andere aus einem krassen Torwartfehler. Ist das nicht ein bisschen wenig?

    Wir haben wieder eine Steigerung gesehen. Der Knoten platzt, die Maschinerie ist jetzt ins Rollen gekommen.

    Steffi Jones

    "Mir ist wurscht wie die Tore fallen. Mit sieben Punkten sind wir weiter", entgegnete die zur Spielerin des Spiels gekürte Abwehrchefin Peter, die immerhin eingestand: "Gegen Dänemark dürfen wir nicht so viele Chancen liegen lassen. Aber was sollen wir tun? Den Kopf in den Sand stecken? Wir müssen es weiterversuchen. Irgendwann wird es wieder klappen."

    Mit der Rotation soll und muss jetzt Schluss sein

    Am besten schon im Viertelfinale eben gegen Dänemark, die nach Meinung der Scouting-Abteilung um Videoanalyst Tim Plöger gar nicht mal der viel leichtere Gegner sind als Gastgeber Niederlande. Das erneuerte dänische Team, übrigens Favoritenschreck im Viertelfinale für Frankreich bei der EM 2013, spielt kompakt und hat nun mit Pernille Harder vom VfL Wolfsburg eine überragende Stürmerin in seinen Reihen. Das erste K.o.-Duell im Sparta Stadion von Rotterdam wird also am Samstag (20.45 Uhr/live ZDF) zur echten Standortbestimmung für den Fortschritt des deutschen Frauenfußballs unter Jones-Regie.
    Die neue Trainerin hatte es mit der Einwechslung von Tabea Kemme geschafft, alle Feldspielerinnen in der Vorrunde einzusetzen. Wieder nahm die Frankfurterin vier Änderungen in der Startelf vor. Ganz bewusst. "Ich hatte vor, diese Gruppenphase mit Variabilität zu spielen, damit wir nicht so ausrechenbar sind. Das wird Richtung K.o.-Spiele anders aussehen."

    Ich hatte vor, diese Gruppenphase mit Variabilität zu spielen, damit wir nicht so ausrechenbar sind. Das wird Richtung K.o.-Spiele anders aussehen.

    Steffi Jones

    Lena Goeßling wird zur Entdeckung

    Immerhin hatte die angeworfene Rotationsmaschine auch etwas Gutes, weil dadurch auch Lena Goeßling ins kalte Wasser geworfen wurde. Die 31-Jährige hatte ihr letztes Pflichtspiel am 2. November bestritten - aber davon ließ sich die Defensivallrounderin gar nichts anmerken. Als Innenverteidigerin erwies sich Goeßling sofort als Stütze, auf die besser nicht mehr verzichtet wird.

    "Sie hat das richtig gut gemacht", lobte Jones. "Ich bin selbst überrascht", gestand Goeßling. Auf dem Siegerbild von Anja Mittag grinst sie - und ballt nur vorsichtig die Faust. Vielleicht weil sie weiß: Noch hat die deutsche Frauen-Nationalmannschaft bei dieser EM nicht wirklich viel gewonnen. Sondern nur die Pflicht erfüllt. Die Kür für Trainerin und Spielerinnen folgt noch.