Der Frust der Bauern ist groß. Nach wochenlangen Protesten lädt die Bundeskanzlerin heute rund 40 Verbände zum Gespräch ein. Worum es geht und was das Treffen bringen könnte.
Was ist der Agrargipfel?
Bundeskanzlerin Angela Merkel lädt am Vormittag rund 40 Verbände und Organisationen aus dem Sektor Landwirtschaft in das Kanzleramt ein. Der sogenannte Landwirtschaftsdialog soll einen Raum öffnen, in dem man über Herausforderungen und Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und für mehr gesellschaftliche Akzeptanz sprechen kann. Die Kanzlerin wird den Dialog eröffnen, Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) wird ebenfalls anwesend sein.
Welche Themen werden besprochen?
Es gibt viele Streit- und Diskussionspunkte, die den Bauern unter den Nägeln brennen. Laut Bundeskanzleramt stehen folgende Themen im Fokus: die Rolle und Bedeutung der Landwirtschaft in unserer Gesellschaft, Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung und die Herausforderungen für den Ackerbau von Morgen.
Wieso wird der Agrargipfel veranstaltet?
Seit Anfang Oktober kommt es in mehreren deutschen Städten wieder verstärkt zu Protesten der Bauern - vergangene Woche machten sie ihrem Unmut in Berlin Luft - laut Polizei waren es mehr als 5.000 Traktoren. Aufgerufen dazu hatte die Initiative "Land schafft Verbindung", ein Zusammenschluss von Zehntausenden Landwirten. Auslöser der Proteste war ein im September auf den Weg gebrachtes Agrarpaket. Darin werden strengere Auflagen bei der Verwendung von Vernichtungsmitteln gegen Unkraut und Schädlinge gefordert.
Verbraucher sollen darüber hinaus mit einem neuen Logo schneller sehen, welches Schweinefleisch aus besserer Tierhaltung stammt. Außerdem sollen mehr EU-Agrarzahlungen für Umweltmaßnahmen ausgegeben werden. Aber auch härtere Düngeregeln und zu niedrige Lebensmittelpreise verschärfen das Gefühl der Bauern, der "Prügelknabe der Nation" zu sein, wie es ein Demonstrant am vergangenen Dienstag in Berlin beschrieb.
Agrarministerin Klöckner sagte auf dem CDU-Parteitag: "Noch nie war unsere Landwirtschaft so stark unter Druck, wie sie es heute ist. Landwirte sind als allererstes Nahrungsmittelproduzenten und nicht Landschaftsgärtner." Sie kündigte an, mehr Möglichkeiten für Dialog schaffen zu wollen. Der Agrargipfel ist offensichtlich ein erster Versuch.
Wer ist eingeladen?
Quelle: Imago
Eine vollständige Teilnehmerliste veröffentlichte das Bundeskanzleramt vorab nicht. Zwei der eingeladenen Verbände sind der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) sowie der Deutsche Bauernverband e.V.
Für Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstand des BÖLW, ist die Veranstaltung ein grundsätzlich gutes Zeichen: "Für die Veranstalter der Demonstrationen ist der Gipfel der Ausdruck einer Reaktion auf den Druck, den sie auf der Straße gemacht haben." Auch der stellvertretende Generalsekretär des Bauernverbandes, Udo Hemmerling, wünscht sich "ein klares Signal der Wertschätzung für unsere Bauern".
Wer ist nicht eingeladen?
Kritiker bemängeln, dass weder Natur- und Tierschutzorganisationen noch Oppositionsparteien eingeladen sind. Christian Rehmer, Experte für Agrarpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., sieht darin keinen Angriff, sondern eine Strategie: "Ich glaube, der Gipfel dient primär dazu, der Agrarseite zu signalisieren: Wir haben euch nicht aus dem Blick verloren, und wir haben euch sogar so sehr im Blick, dass sich die Kanzlerin damit beschäftigt."
Für inhaltliche Versprechen oder konkrete Absichtserklärungen wäre das der falsche Rahmen, "denn dann müssten wir und viele andere auch am Tisch sein."
Um eine so komplexe Aufgabe nachhaltig zu lösen, müssten alle Seiten zusammenarbeiten. Man müsse aus dem Schneckentempo kommen und ganz neue Maßstäbe setzen: "Wir bräuchten eigentlich eine Art Masterplan, einige Politiker nennen es auch den Generationsvertrag, wie Landwirtschaft in zwanzig oder dreißig Jahren aussehen soll."
Wie muss man mit dem Frust der Bauern umgehen?
Den Frust der Bauern kann Rehmer nachvollziehen, appelliert aber dafür, sich nicht in die Opferrolle stecken zu lassen, sondern mit konstruktivem Aktionismus voranzugehen. Ganz ähnlich sieht das Bauernvertreter Löwenstein: "Die Bauern beschweren sich komplett zurecht, dass die Diskussion über ihre Köpfe hinweg geht, dass sie bei der Gestaltung ihrer Rahmenbedingungen nicht mehr gefragt werden. Wenn ich aber auf den Demos herumfahre und sage, dass ich nichts mit Grundwasser, Insekten und Klimaschutz zu tun habe und nichts dazu beitrage, dass es besser wird, dann kommen wir nicht weit."
Quelle: DPA
Wie komplex der Sachverhalt ist, zeigt das Beispiel Bio-Qualität. Löwenstein sagt, Bio funktioniere weltweit. Stellt sich die Frage: Um welchen Preis? Denn Bio-Qualität als neuer Standard birgt die Gefahr, dass günstigere Lebensmittel aus dem Ausland importiert werden "und damit ist dann niemandem geholfen." Deswegen geht seine Forderung noch weiter: "Wir müssen in der EU die Standards anheben und dafür sorgen, dass niemand außerhalb der EU mit niedrigeren Standards die EU-Standards unterlaufen kann." Daran würde sich eine Diskussion rund um Handelsabkommen und internationale Handelspolitik anschließen.
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Welche Sprache ist angemessen?
Klar ist: Landwirtschaft betrifft nicht nur Bauern, nicht nur Verbraucher und nicht nur Tierschützer. Aufgabe der Politik ist es, alle Beteiligten zusammenzubringen und die Rahmen zu schaffen, in denen sich niemand abgehängt fühlt und Lösungsansätze erarbeitet werden können.
Für Bauernvertreter Löwenstein ist wichtig: "Mein Plädoyer: Vermeidet Worte wie Schuld, Pranger oder Sündenbock auf allen Seiten." Für Schuldzuweisungen sei die Lage viel zu dramatisch. In seinen Augen ginge es jetzt nur darum, herauszufinden: "Wer hat welche Aufgabe bei der Bewältigung unserer Probleme."