Gegner und Anhänger des zurückgetretenen Präsidenten Evo Morales stehen sich unversöhnlich gegenüber. Besuch in einer Hochburg der ehemaligen Opposition.
Am Dienstagabend (Ortszeit) verwandelte das Bürgerkomitee "Pro Santa Cruz" den Platz um die Christus-Statue in ein Lichtermeer. Tausende Menschen waren in der heimliche Hauptstadt Boliviens zum Zentrum der jüngsten Proteste geströmt, diesmal aber lautete ihre Botschaft: "Wir wollen Frieden." Sie zündeten in der Nacht Kerzen an und ließen die Displays ihrer Mobiltelefone erleuchten.
Wochenlanger Generalstreik
In Santa Cruz war in den Wochen nach dem mutmaßlichen Wahlbetrug zugunsten des inzwischen zurückgetretenen und ins Exil nach Mexiko geflogenen Präsidenten Evo Morales besonders heftig. Ähnlich wie in vielen anderen Städten waren es die der konservativen Opposition nahestehenden Bürgerkomitees, die die überwiegend friedlichen Demonstrationen gegen Morales organisierten. In Santa Cruz entschied die Vollversammlung mit mehreren Hunderttausend Menschen aus Protest gegen die Unregelmäßigkeiten einen wochenlangen Generalstreik. Am Fuß der Christus-Statue haben Morales-Gegner "Beweise für den Wahlbetrug" aufgeklebt. Sie fühlen sich im Recht.
Doch es gibt auch die andere Seite. In den ersten Tagen nach dem Rücktritt von Morales wirkte dessen sozialistische Partei MAS paralysiert. Spitzenfunktionäre traten im Dutzend zurück und gaben widersprüchliche Erklärungen ab. Mal wollten die Abgeordneten an den Parlamentssitzungen teilnehmen, dann aber boykottierten sie den Senat. Die zweite Reihe hinter Morales wusste nicht so recht mit der neuen Situation ohne ihr Alphatier umzugehen, suchte noch den neuen Kompass.
Inzwischen haben sich die Kommunikationswege zwischen Mexiko und Bolivien stabilisiert und ihre Forderungen konkretisiert. Unterstützt werden sie von zahlreichen Aktivisten, die Straßen blockieren und zu Protestmärschen aufrufen. In Cochabamba und in El Alto kam es bei Zusammenstößen zu den ersten Toten. Neue Regierung und neue Opposition machen sich gegenseitig für die Gewalt verantwortlich.
Ging die Gewalt von der Polizei aus oder nicht?
Der neue Polizei-Kommandant von Santa Cruz, Obers Miguel Mercado, spricht von Guerilla-Taktiken der Demonstranten. "Ein kleiner Teil der Demonstranten zieht sich in die Wildnis zurück, um dann überraschend zuschlagen", sagt Mercado. Zudem würden gezielt Polizeistationen angegriffen. Eine andere Methode sei es auf Zivilisten zu schießen und dann die Polizei verantwortlich zu machen, behauptet Mercado. Handfeste Beweise gibt es derzeit weder für die eine noch die andere Theorie. Nach den drei Toten nach einer Operation der Sicherheitskräfte in El Alto bei La Paz erklärt der Verteidigungsminister Luis Fernando López: "Die Streitkräfte haben nicht einen einzigen Schuss abgegeben".
Die Demonstranten widersprechen vehement der These, dass die Gewalt nicht von der Polizei ausgegangen sei. An einer Brückenblockade in Yapacani im Hinterland von Santa Cruz, belegen die Morales-Anhänger ihre Aussagen mit Videos, die die brutale Gewalt der Sicherheitskräfte zeigen sollen und die sich die Aktivisten gegenseitig zu spielen. Hier wie in vielen anderen Teilen des Landes fordern die Morales-Anhänger den Rücktritt der selbsternannten Übergangspräsidentin Jeanine Anez, die sie für die Gewalt in den letzten Tagen direkt verantwortlich machen. Zudem geht es ihnen um den Respekt: Sie fordern, dass Evo Morales zurückkommt und seine noch wenige Wochen dauernde Präsidentschaft zu Ende bringen kann.