Jahrestage sind planbar? Eigentlich. Auf den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit war die Bundesregierung aber nicht richtig vorbereitet - und muss jetzt eilig Gelder bereitstellen.
"Das Bedürfnis ist unvorhergesehen" - so steht es, schwarz auf weiß, in einem Schreiben der parlamentarischen Staatssekretärin des Bundesfinanzministeriums, Bettina Hagedorn, an den Vorsitzenden des Haushaltsausschuss. Das Schreiben, über das die "Süddeutsche Zeitung" zuerst berichtet hatte, liegt auch dem ZDF vor – und es sorgt heute für einiges Aufsehen in der Bundespolitik. "Peinlich!", twittert Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Und der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, schreibt vom "schlechtesten Regierungsmanagement aller Zeiten".
Es geht um den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit im Jahr 2020. Üblicherweise wurden solche Jubiläen bisher in Form von Festakten am Jahrestag selbst gewürdigt – übrigens auch schon mit großen Bürgerfesten, jeweils in dem Land, das gerade die Bundesratspräsidentschaft innehat. Doch plötzlich hat das Bundesinnenministerium erkannt: "Feierlichkeiten in der bisher praktizierten Form könnten bestehende Frustrationen und Tendenzen zur gesellschaftlichen Spaltung verstärken". Warum genau, wird nicht weiter ausgeführt.
65 Millionen für eine Riesen-Party
Dort steht nur: Es soll diesmal anders gefeiert werden als sonst. Größer, länger, mit einem "ernsthaftem, ehrlichen Dialog mit den Bürgern". Eine eigens eingesetzte Kommission unter Vorsitz des ehemaligen SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck soll Vorschläge erarbeiten. Vorgesehen ist außerdem eine eigene Jubiläums-Geschäftsstelle im Bundesinnenministerium, flankierende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Plakatwerbung, Rundfunk- und Fernsehspots. Angesetzte Kosten: immerhin 65 Millionen Euro – 30 Millionen Euro 2019, 35 Millionen Euro im Jahr 2020.
Die regierungsamtliche Erkenntnis dazu aber kam Innenminister Seehofer und seinen Beamten spät. Zu spät für den Etat, der für 2019 längst verabschiedet war. Folglich brauchte er eine "außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung". Eine solche Ermächtigung ist eigentlich in besonderen Fällen möglich, bei Krisen oder Naturkatastrophen, sprich: "im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedarfs" – so steht es in der Bundeshaushaltsordnung.
Der Finanzminister hat die Ausgaben schon genehmigt
Folglich unternimmt die Bundesregierung einige verbale Anstrengungen, um nachzuweisen, dass das Bedürfnis tatsächlich unvorhergesehen war. "Die Erkenntnis der Notwendigkeit, den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit (…) sowohl inhaltlich als auch vom Umfang her in ganz besonderer Weise zu nutzen, nahm erst nach Abschluss der Beratungen des Bundeshaushalts 2019 durch den Haushaltsgesetzgeber substantiell Kontur an", heißt es im Schreiben an den Haushaltsausschuss. Das Bundesinnenministerium widersprach am Mittag der Darstellung, man habe die Jubiläumsfeierlichkeiten übersehen. Das Innenministerium sei "erst im Herbst letzten Jahres damit beauftragt worden, ein Konzept zu entwickeln", sagte ein Sprecher in der Regierungspressekonferenz.
"Es ist befremdlich, dass die Bundesregierung einen derartigen Mehrbedarf angemeldet hat", so Peter Boehringer gegenüber heute.de. Der AfD-Abgeordnete ist Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Der konnte die außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung übrigens nur noch zur Kenntnis nehmen. Genehmigen muss sie nur der Bundesfinanzminister – nach Artikel 112 des Grundgesetzes. Und Olaf Scholz, SPD-Finanzchef, hatte keine Einwände gegen das Vorhaben seines CSU-Ministerkollegen. Für die große, völlig unvorhergesehene Party ist also richtig viel Geld da.
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