Mehr als 100.000 protestieren gegen die EU-Urheberrechtsreform - laut CDU-Fraktion im EU-Parlament auch bezahlte Demonstranten. Ein "irrsinniger" Vorwurf, wüten die eigenen Leute.
Quelle: dpa
Es ist ein ungeheurer Vorwurf, den der Europa-Abgeordnete Daniel Caspary (CDU) erhebt: "Wenn amerikanische Konzerne mit massivem Einsatz von Desinformationen und gekauften Demonstranten versuchen, Gesetze zu verhindern, ist unsere Demokratie gefährdet", sagt er in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung. Der Twitter-Account der CDU/CSU-Fraktion im Europaparlament verbreitet Casparys Zitat am Samstagnachmittag - just in dem Moment, in dem in Deutschland mehr als 100.000 Menschen in München, Berlin und anderen Städten gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform demonstrieren.
Wie bitte? Gekaufte Demonstranten? Bezahlen also Google, YouTube, Facebook zumindest einige der Gegner des sogenannten Artikels 13? Diesen Artikel, nach neuester Zählung Artikel 17, könnte das EU-Parlament am Dienstag verabschieden. Vor allem die Diskussion um sogenannte Uploadfilter erhitzt die Gemüter. Eine Software also, die Plattformen wie YouTube und andere einsetzen könnten, um bereits vor dem Hochladen von Fotos oder Musik mögliche Urheberrechtsverletzungen zu erkennen.
Caspary: Bis zu 450 Euro Demonstrationsgeld
Bis zu 450 Euro sollen zumindest einige der Demonstranten erhalten haben, sagt Caspary in dem Interview. Das Geld solle über eine Nichtregierungsorganisation geflossen sein. Welche genau sagt er nicht. Zumindest teilweise soll das Geld von großen amerikanischen Internetkonzernen gekommen sein. Von welchen genau sagt er ebenfalls nicht. Nachfragen dazu finden sich in dem Interview ebenfalls nicht.
Inzwischen hat sich Caspary noch einmal geäußert. Mit der Nichtregierungsorganisation sei die Bürgerrechtsorganisation "Edri" gemeint. Diese zahle bis zu 450 Euro für Reisen zu Abgeordneten nach Brüssel, bestätigte Caspary heute.de. Demnach wäre der Vorwurf, "Edri" finanziere Reisen nach Brüssel, damit Gegner der Urheberrechtsreform mit EU-Abgeordneten reden und ihren Protest artikulieren könnten. Caspary legt wert auf die Feststellung, er habe nie davon gesprochen, dass "alle" Demonstranten gekauft seien.
Zuvor machten CDU-Politiker aus Deutschland ihrem Ärger über die bisher unbelegten Vorwürfe Luft: "Ich finde für diesen Irrsinn keine Worte mehr", twittert CDU-Digitalexperte Thomas Jarzombek. "Egal, welcher Meinung man ist, man muss immer Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden haben." Und der CDU-Abgeordnete Sebastian Steineke nennt den Tweet der eigenen Leute katastrophal: "Man kann mit guten Argumenten anderer Meinung sein, aber den Protest gegen Artikel 13 so herabzuwürdigen, darf niemals unser Stil sein", twittert er - und fügt das Hashtag #gehtgarnicht bei.
Stimmung durch Bot-Vorwürfe ohnehin angeheizt
Pikant ist der Vorwurf der gekauften Demonstranten auch deswegen, weil seit Wochen eine sogenannte Bot-Diskussion durch die sozialen Medien läuft. Insbesondere CDU-Politiker wie Axel Voss werfen den Gegnern der Urheberrechtsreform vor, mit unlauteren Mitteln zu kämpfen. Unter den Gegnern der Reform seien auch sogenannte Bots, also automatisierte Accounts, die gezielt Stimmung machten gegen Artikel 13. "Ich bin kein Bot", stand deswegen auf etlichen Plakaten bei den Protesten am Samstag.
Auch der YouTube-Star Felix von der Laden gehört dazu. "Dass ihr euch traut, von gekauften Demonstranten zu sprechen, zeigt, wie scheißegal euch wir Wähler sind", twittert er. Allein bei Twitter kommt von der Laden auf zwei Millionen Follower. Am schnellsten reagiert der Digitalverein D64. Er hat aus Spaß bereits ein Formular online gestellt und es den Teilnehmern der Demonstrationen zur Verfügung gestellt. Auf diesem Formular könne man, so D64, die versprochenen 450 Euro Demogeld beantragen. Wer das Formular ausfüllt, bekommt am Ende allerdings einen Hinweis angezeigt: "Selbstverständlich gibt es kein Demo-Geld. Leute, Leute, Leute."