Gibt es eine Erste-Hilfe-Pflicht für Lehrer? Darüber urteilt heute der BGH. Der Kläger ist ein ehemaliger Schüler, der während des Sportunterrichts zusammenbrach.
Im Januar 2013 kam es an einem hessischen Gymnasium zu einem folgenschweren Unfall. Ein 18 Jahre alter Wiesbadener Schüler - kurz vor seinem Abitur - hatte beim Aufwärmen im Schulsport plötzlich Kopfschmerzen, brach zusammen und wurde bewusstlos.
Stabile Seitenlage reichte nicht
Die beiden anwesenden Lehrer riefen zwar den Notarzt, brachten den Jungen in eine stabile Seitenlage und fühlten den Puls. Sie vergewisserten sich allerdings nicht, ob er noch atmete. Wiederbelebungsmaßnahmen erfolgten erst durch Sanitäter und den Notarzt.
So hieß es unter anderem im Klinikbericht: "Beim Eintreffen des Notarztes bereits achtminütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation". Die Folge: Der Schüler erlitt irreversible Hirnschäden wegen mangelnder Sauerstoffversorgung. Er ist heute zu 100 Prozent schwerbehindert und muss rund um die Uhr von seiner Familie versorgt werden. Haben die Lehrer Schuld am Schicksal des Jungen? Wer haftet? Diese Fragen muss nun der BGH entscheiden.
Kläger fordert mindestens 500.000 Euro Schmerzensgeld
Quelle: dpa
Der heute 24-jährige Kläger macht Amtshaftungsansprüche gegen das Land Hessen - als verantwortliches Land für die beiden verbeamteten Lehrer - wegen unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen geltend.
Er fordert mindestens 500.000 Euro Schmerzensgeld, gut 100.000 Euro für die Erstattung materieller Schäden, eine monatliche Mehrbedarfsrente von etwa 3.000 Euro sowie die Feststellung, dass das Land Hessen auch für künftige Kosten aufkommen soll.
Ziel der Klage sei, dass so etwas nie mehr in einer Schule passiere, sagte der Vater in der Verhandlung. In den Vorinstanzen blieb der Kläger erfolglos. Es sei nicht sicher, ob mögliche Fehler der Lehrer bei der Ersten Hilfe ursächlich für den Gesundheitszustand des Klägers waren.
Diskussion um Amtspflicht zu Erster Hilfe
Dagegen richtet sich die Revision vor dem BGH. "Es gibt eine Amtspflicht zur Ersten Hilfe" sagte der Anwalt des Klägers bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe. Obwohl der Schüler nach Zeugenaussagen schon blau gewesen sei, hätten zwei Lehrer acht Minuten lang nichts zur Wiederbelebung getan. "Eine Herzdruck-Massage ist kein Teufelswerk", so der Anwalt.
Die Anwältin des hessischen Kultusministeriums sieht in dem Verhalten der Lehrer keine grobe Fahrlässigkeit und weist den Vorwurf zurück, dass acht Minuten nichts passiert sei. Sie spricht von einer "Verkettung unglücklicher Umstände".
Lehrer könnten nicht damit rechnen, dass ein Schüler aus heiterem Himmel plötzlich zusammenbricht. Sie hätten keine Amtspflicht, Erste Hilfe zu leisten. "Eine Lehrerin ist nicht berufsmäßig dazu da, Leben zu retten".
Allgemein regt der Fall zum Nachdenken an: Wann habe ich meinen letzten Erste-Hilfe-Kurs gemacht? Wie geht eigentlich eine Herzdruckmassage? In Deutschland beginnen nur 34 Prozent der Ersthelfer mit einer Wiederbelebung wie aus aktuellen Daten der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) hervorgeht.
Das einzig Falsche ist, nichts zu tun
Grund dafür ist insbesondere, dass der Erste-Hilfe-Kurs meist einige Jahre zurückliegt. Viele Menschen haben Angst davor, etwas falsch zu machen und für mögliche Fehler haften zu müssen. Das einzig Falsche ist jedoch, nichts zu tun. Der tragische Fall des Gymnasiasten macht die herausragende Bedeutung von Erste-Hilfe-Maßnahmen deutlich und sollte nicht nur Lehrer, sondern jedermann dazu animieren, im Notfall zu handeln.