Brexit-Abkommen? "Inakzeptabel": In seiner ersten Rede im Parlament geht der neue britische Regierungschef Boris Johnson gleich auf Konfrontationskurs.
Der neue britische Premierminister Boris Johnson hat die Bestimmungen des Brexit-Abkommens mit der EU als "inakzeptabel" verworfen. Die Vorbereitungen auf einen ungeregelten EU-Austritt seines Landes hätten nunmehr "die höchste Priorität", sagte Johnson am Donnerstag bei seiner ersten Rede als Regierungschef vor dem Unterhaus in London.
"Ich würde es bevorzugen, wenn wir die EU mit einem Abkommen verließen - ich würde es stark bevorzugen", betonte Johnson am Tag nach seinem Amtsantritt. Er glaube, dass eine Neuverhandlung des Austrittsvertrags "selbst zu diesem späten Zeitpunkt" möglich sei, und er werde "mit Hochdruck daran arbeiten", ein neues Abkommen zu erzielen, sagte er.
Knackpunkt: Backstop
Für Johnson geht es dabei vor allem um eine zeitliche Begrenzung des sogenannten Backstops - dem Knackpunkt im Brexit-Streit. Es handelt sich dabei um eine festgeschriebene Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten.
Der neue Premier hält die zeitliche Begrenzung für unzureichend. Kein Land könne einem Abkommen zustimmen, das die wirtschaftliche Unabhängigkeit und politische Selbstbestimmung unterbinde, sagte der Regierungschef in London. Das von seiner Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Abkommen sei dreimal vom Parlament abgelehnt worden und "für das Abgeordnetenhaus und das Land inakzeptabel", sagte Johnson.
EU zur Neuverhandlung aufgerufen
Johnson bekräftigte außerdem, dass Großbritannien keinen Kommissar für die neu zu besetzende EU-Kommission nominieren werde. Brüssel rief er deshalb auf, die Absage an eine Neuverhandlung des Abkommens zu überdenken.
Die EU hat eine Neuverhandlung mit Großbritannien bisher kategorisch abgelehnt. Brexit-Chef-Unterhändler Michel Barnier hatte unmittelbar nach Johnsons Wahl zum Tory-Chef am Dienstag jedoch die Bereitschaft erklärt, die politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zu Großbritannien nach dem EU-Austritt "zu überarbeiten".
Dies könne aber nur "im Einklang" mit den Leitlinien der EU-Staats- und Regierungschefs erfolgen. Die Erklärung ist nicht Teil des Austrittsvertrags und ist somit nicht rechtlich bindend.
Kabinett radikal umgekrempelt
Kurz nach seinem Amtsantritt hatte Johnson am Mittwochabend sein neues Kabinett vorgestellt. In einem radikalen Schnitt besetzte er die meisten Ministerämter neu. Schlüsselposten vergab er an Brexit-Hardliner wie den früheren Brexit-Minister Dominic Raab, der Jeremy Hunt im Amt des Außenministers nachfolgt. Hunt war in der Urabstimmung um den Parteivorsitz der konservativen Tories als Johnsons Herausforderer angetreten.
Gegen Johnsons harte Brexit-Linie waren am Mittwochabend in London Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Bereits unmittelbar nach seiner Wahl hatte Johnson sein Vorhaben bekräftigt, sein Land am 31. Oktober "ohne Wenn und Aber" aus der EU führen zu wollen.