Überschattet vom Personalstreit fängt das neu gewählte EU-Parlament an zu arbeiten - und müsste eigentlich einen Vorsitzenden wählen. Fragen und Antworten zum Parlament.
Welche Macht hat das Europäische Parlament?
Das EU-Parlament, Gesetzgebungsorgan der Europäischen Union, ist das größte multinationale Parlament der Welt. Es stimmt gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union, auch Ministerrat - also den Vertretern der Mitgliedsstaaten aus den jeweiligen Ressorts - über Gesetzentwürfe der EU-Kommission ab. Dieses Verfahren gilt für die meisten Politikbereiche der EU. Bei der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beispielsweise kann das Parlament dagegen lediglich Empfehlungen aussprechen.
Eingeleitet wird ein Gesetzgebungsverfahren durch die Kommission. Sie hat dafür das Initiativrecht. Kritiker sprechen daher von einem Demokratiedefizit des Europäischen Parlaments - Brüssel dagegen nennt das einen "Mythos". Denn: Ein Gesetz kommt nur dann zustande, wenn es in Parlament und Ministerrat eine Mehrheit findet. Auch haben beide ein sogenanntes politisches Initiativrecht - will heißen: Sie können die Kommission dazu auffordern, ein Thema auf die Agenda zu setzen. Durch die überraschend hohe Wahlbeteiligung bei der jüngsten Europawahl ist das Parlament mit seinen 751 Abgeordneten außerdem stärker legitimiert denn je: Knapp mehr als die Hälfte der 426 Millionen Wahlberechtigten in der EU stimmten Ende Mai ab.
Warum ist die Wahl des Parlamentspräsidenten so schwierig?
Traditionell gehört die Wahl des Parlamentspräsidenten zu den ersten Aufgaben der frisch konstituierten Völkervertretung. Doch noch herrscht noch kein Konsens über die Personalie - denn sie hängt zusammen mit der Besetzung der übrigen EU-Spitzenposten, allen voran des Kommissionspräsidenten. Anspruch auf dieses Amt erhebt als stärkste Fraktion die konservative Europäische Volkspartei EVP. Doch ihr Spitzenkandidat Manfred Weber hat weder im Rat der Staats- und Regierungschefs die für seine Nominierung nötige Mehrheit, noch im EU-Parlament für seine Wahl.
Die Staats- und Regierungschefs loten derzeit daher mehrere Personalrochaden aus. Eine Möglichkeit: Weber könnte Parlamentspräsident werden. Auf diesen Posten bewirbt sich auch die deutsche Grünen-Politikerin Ska Keller. Das Parlament ist in seiner Wahl zwar frei. Als Teil eines Personalpakets könnte jedoch ein Deal geschlossen werden, der bei Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen Unterstützung findet. Die Wahl steht eigentlich am Mittwoch auf dem Programm.
Welche Fraktionen bilden sich?
Konservative und Sozialdemokraten kommen erstmals seit 40 Jahren zusammen nicht mehr auf eine absolute Mehrheit im Europaparlament. Stattdessen wäre rechnerisch eine knappe Mehrheit der vier Fraktionen links der Konservativen möglich. Die Liberalen bilden die drittstärkste Fraktion durch Neuformierung unter dem Namen Renew Europe group, der auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angehört. Deutliche Gewinne verbuchten auch die Grünen.
Neu gebildet hat sich eine Fraktion der EU-Kritiker, die ID - Identity and Democracy. Die italienische Lega-Partei stellt darin den Fraktionsvorsitz, weitere Mitglieder kommen unter anderem vom französischen Rassemblement Nationale unter Marine Le Pen und aus der AfD. Die Brexit-Partei gehört nicht dazu und bleibt wohl fortan allein. Die Zukunft der bisherigen Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD) ist offen - als mögliche Mitglieder gelten die Brexit-Partei von Nigel Farage und die italienische Fünf-Sterne-Bewegung. Bis dato ist es ihnen jedoch nicht gelungen, das nötige Quorum für den Fraktionsstatus zu erreichen. Nach jetzigem Stand können folgende Faktionen zusammenkommen:
Fraktionen | Abgeordnete (bisher) |
---|---|
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182 (216) |
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154 (185) |
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108 (69) |
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75 (52) |
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73 (Vorläufer ENF: 36) |
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62 (77) |
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41 (52) |
Wo arbeitet das EU-Parlament?
Insgesamt verteilt sich das Europäische Parlament auf drei Arbeitsorte: Brüssel, Straßburg und Luxemburg - wobei Luxemburg hauptsächlich als Verwaltungssitz und Büro des Generalsekretariats dient. Die französische Grenzstadt Straßburg ist offizieller Sitz des EU-Parlaments, mehrere Plenarsitzungen sowie Sitzungen der Ausschüsse und Fraktionen finden aber in der belgischen Hauptstadt Brüssel statt. Die Pendelei ist nicht unumstritten: Immer wieder werden Forderungen laut, Straßburg als Parlamentssitz aufzugeben - wogegen sich Frankreich vehement wehrt. Die Argumentation: Der Sitz des Hauses ist historisch gewachsen und in den EU-Verträgen festgeschrieben. Das könnten die 28 EU-Staaten nur einstimmig ändern, aber Paris macht nicht mit.