Äthiopiens Premier hat den Friedensnobelpreis für seinen Reformwillen erhalten. Nun aber stocken seine Vorhaben. Der deutsch-äthiopische Autor Asfa-Wossen Asserate erklärt, warum.
Abiy Ahmed gilt als Hoffnungsträger von Äthiopien. In weniger als zwei Jahren als Äthiopiens Regierungschef startete er einen Friedensprozess mit dem Nachbarn Eritrea und verhalf der Region zu einem politischen Wandel. Für seine Bemühungen hat Abiy am Abend den Friedensnobelpreis erhalten.
heute.de: Seit dem Frühjahr 2018 gilt Äthiopiens Premier Abiy Ahmed als Hoffnungsträger am Horn von Afrika. Neuerdings muss er sich aber mit Gegnern seiner Reformpläne herumschlagen. Was ist geschehen?
Asfa-Wossen Asserate: Mich erinnert Abiy sehr an den sowjetischen Reformer Michael Gorbatschow. Der Werdegang beider Männer ähnelt sich stark. Gorbatschow kam aus den inneren politischen Strukturen der Sowjetunion. Er war Teil des Establishments. Abiy kommt auch aus dem inneren Zirkel der Regierungspartei EPRDF. Er hat die Fehler des Regimes erkannt und dafür gesorgt, sie zu beseitigen. Deswegen ist es absolut richtig, ihm den Friedensnobelpreis zu geben.
-
heute.de: Was hat er konkret gemacht?
Asserate: Er hat den dreißigjährigen Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea beendet. Er hat mehrere tausend politische Gefangene aus den Gefängnissen entlassen. Und er hat sich verpflichtet, den Demokratisierungsprozess in Äthiopien zu beschleunigen. Aber ihm sind auch einige Fehler unterlaufen.
heute.de: Welche?
Asserate: Erstens hat er die politischen Parteien im Exil zu schnell ins Land gelassen - ohne ihnen Auflagen zu machen. Er hat sie weder auf die Gesetze noch auf die Einhaltung eines friedlichen politischen Engagements verpflichtet. Vor allem die Oromo Liberation Front (OLF) hätte er bereits in die Pflicht nehmen sollen. Es ist Abiy nur unter großer Mühe gelungen, deren Kämpfer zu entwaffnen.
heute.de: Inzwischen gibt es wegen zahlreicher ethnischer Auseinandersetzungen 2,4 Millionen Binnenvertriebene. Warum spielen Ethnien eine so große und zum Teil destruktive Rolle?
Asserate: Rassismus ist das Kernproblem Äthiopiens seit 1991. Seitdem wird alles ethnisiert: die Politik, die Parteien, die Wirtschaft, das ganze Land. Das ist das Resultat der damals proklamierten Verfassung.
Äthiopien ist das einzige Land in der Welt, das sich selbst eine ethnische Föderation nennt. Das aber ist nichts anderes als ein Synonym für Apartheid. Äthiopien ist das einzige afrikanische Land, in dem die Ethnie im Personalausweis vermerkt wird. Leider haben europäische Regierungen das rassistische Regime des Meles Zenawi seit 29 Jahren bedingungslos unterstützt.
heute.de: Wie lässt sich das ändern?Asserate: Abiy hat eine Kommission gebildet, die die rassistische Verfassung überarbeiten soll.
heute.de: Reicht die Überarbeitung der Verfassung oder muss sie neu geschrieben werden?
Asserate: Um den Kern des Problems anzugehen, wäre es wichtig, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die eine neue Verfassung ausarbeitet. Diese sollte dann per Referendum vom Volk abgestimmt werden. Und erst dann wäre es sinnvoll, demokratische Wahlen abzuhalten.
heute.de: Vorgesehen sind die Wahlen aber für 2020. Wird der Reformer überhaupt eine Mehrheit erreichen können?
Asserate: Alle Äthiopier, die Reformen wünschen, werden verstehen, dass Abiy die einzige Chance ist, dies zu verwirklichen. Aber sein Weg muss in eine nicht-ethnische demokratische Föderation führen.
heute.de: Kann ihn dabei die neue Wohlstandspartei unterstützen, in der sich drei Flügel der EPRDF jüngst zusammengeschlossen haben?
Asserate: Womöglich. Denn es war an der Zeit, dass die alte Regierungspartei albanisch-marxistischer Prägung auf dem Schrottplatz der Geschichte gelandet ist.
heute.de: Welchen Einfluss haben China und die Golfstaaten, die inzwischen die großen Investoren in Äthiopien sind?
Asserate: Äthiopien ist mit 65 Milliarden US-Dollar allein bei den Chinesen verschuldet. Aber ich frage mich: Wo sind unsere europäischen Freunde? In ganz Afrika gibt es derzeit zwischen 10.000 und 20.000 chinesische Firmen und nur knapp 850 deutsche und davon sind mehr als die Hälfte im südlichen Afrika registriert. In Äthiopien sind weniger als ein Dutzend deutscher Firmen aktiv.
heute.de: Warum zögert Deutschland bei den Investitionen?
Asserate: Äthiopien gehört inzwischen zu den Compact-Staaten. Sie werden besonders gefördert, weil sie Reformwillen zeigen. Investoren erhalten beispielsweise eine Hermes-Bürgschaft ihrer Investitionen (Anmerkung der Redaktion: staatliche Exportkreditgarantien der Bundesrepublik). Dennoch zögert die deutsche Wirtschaft. Sie fürchtet immer noch Bürokratie und Korruption. Und in der Tat, das muss sich in Äthiopien schleunigst ändern.
heute.de: Hilft der Friedensnobelpreis dem Land?
Asserate: Es ist großartig, dass zum ersten Mal ein Äthiopier den Friedensnobelpreis erhält. Damit hat das Nobelpreiskomitee nicht nur den Premier geehrt, sondern alle Äthiopier. Ich hoffe sehr, dass diese Ehre auch die Gegner Abiys dazu bringen wird, sich mit dessen Reformkurs zu solidarisieren.
Das Interview führte Katharina Sperber.