Auf den ersten Blick: Grüne Harmonie pur in Bielefeld. Die Umfragewerte bestens, die Wiederwahl Habecks und Baerbocks sicher. K-Frage und radikale Junge könnten Misstöne bringen.
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Seit Monaten geben die Umfragewerte den Grünen Auftrieb, fast 50 Prozent der Bürger halten Umwelt- und Klimaschutz für das wichtigste Thema: Für die Grünen ist es keine Frage, sie wollen an die Macht, so schnell wie möglich. Genau das eint sie seit Monaten, alle in der Partei haben das eine Ziel fest im Blick.
Grünen stehen bereit
Doch was wäre, wenn zum Beispiel die SPD wirklich nach ihrem Parteitag aus der Groko aussteigen sollte. Was wäre, wenn dann im Frühjahr 2020 schon Neuwahlen stattfinden würden. Was wäre, wenn dann die Grünen mitregieren müssten im Bund? Klar, seit Monaten ist es das Mantra der Partei-und Fraktionsspitze: Wir stehen bereit, wir sind gut aufgestellt, inhaltlich und personell.
Personell? Für einige - wie den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann - scheint klar zu sein: Robert Habeck ist im Fall des Falles der Kanzlerkandidat. Doch außer Kretschmann scheuen alle anderen das K-Wort wie der Teufel das Weihwasser. Denn es gilt noch nicht als ausgemacht, dass alles auf Habeck zuläuft.
K-Frage: Ist Habeck gesetzt?
Warum eigentlich unbedingt Habeck? Annalena Baerbock hat mit 97,1 Prozent der Stimmen ein Rekordergebnis auf dem Parteitag erreicht. Habeck wurde zwar auch wiedergewählt, aber mit "nur" 90,4 Prozent. Und was wäre, wenn die Frauenquote ins Spiel gebracht wird? Antworten gibt es keine auf diese Frage. Ganz im Gegenteil: Es wird ausgewichen. Jetzt sei es noch nicht an der Zeit, jetzt müsse diese Frage noch nicht beantwortet werden.
Doch die Fragen werden kommen, spätestens nach dem Parteitag in Bielefeld. Beim letzten Mal hatte Baerbock deutlich weniger Stimmen als Habeck, musste damals aber auch gegen eine Gegenkandidatin antreten, Habeck nicht. Diesmal hatten beide keine Gegenkandidaten, und Baerbock damit im direkten Vergleich die Nase vorne.
Partei will jetzt "Hoffnungen erfüllen"
Robert Habeck hat bereits in seiner Eröffnungsrede am Freitag klar gemacht, dass die Grünen in den letzten zwei Jahren viel Vorschuss-Vertrauen erhalten, viele Hoffnungen geweckt hätten. Diese müssten nun erfüllt werden: "Jetzt, in der nächsten Phase, müssen wir aus Hoffnung Wirklichkeit machen". Keine leichte Aufgabe.
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"Weichen stellen"und "Demokratie stärken"Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck fordert seine Partei auf, einen politischen Aufbruch in Deutschland mitzugestalten. Er will "Weichen stellen" und die Demokratie schützen.
von Michaela SchmehlUnd wie wären die Grünen inhaltlich aufgestellt? Ja, heißt es auch hier immer wieder. Doch der Prozess für das neue Grundsatzprogramm ist längst nicht abgeschlossen. Der Parteitag in Bielefeld hat die Schwerpunkte Wirtschaft, Klima und Wohnen. Wie lässt sich alles verbinden? Welche neuen Wege müsste Deutschland gehen, um Vorreiter in Sachen Klimaschutz zu werden? Diese Fragen stehen auf der Tagesordnung. Ein Mietendeckel von drei Prozent pro Jahr, ein Tausch von Mietverträgen, eine Vergesellschaftung gegen Entschädigung, all das sind kontrovers diskutierte Vorschläge zum Thema Bauen. Das letzte Wort ist bei dabei sicherlich noch nicht gesprochen.
Jung gegen Alt - und das bei den Grünen
Nicht geklärt ist auch, wie die grüne Partei sich möglicherweise verändern wird durch ihre vielen neuen Mitglieder. Das sind oft junge Leute aus der Fridays-for-Future-Bewegung, die radikalere Ziele und radikalere Wege von der Parteiführung fordern. Jung gegen Alt - auch bei den Grünen könnte das zum Konflikt werden.
Nur ein Beispiel dafür ist die Debatte um Homöopathie als Kassenleistung. Ein Randthema, könnte man meinen. Aber genau hier zeigt sich die Konfliktlinie in der Partei: Die Jungen, die mit den radikalen Forderungen der Wissenschaft argumentieren, gegen ältere Grüne, die nur fordern was auch umsetzbar ist. Gleiches gilt für die Diskussion um eine CO2Steuer. Viel zu wenig, viel zu moderat seien da die Forderungen der Parteispitze - vor allem die jungen Mitglieder von Fridays for Future fordern deutlich höhere Preise, manche sogar über 600 Euro die Tonne.
Nicht nur SPD und CDU kämpfen derzeit um die Ausrichtung ihrer Partei, auch die Grünen. Und was das Personal angeht: Sie haben zwei beliebte Parteivorsitzende, die unangefochten an der Spitze stehen, selten war ein Führungsduo bei den Grünen so harmonisch und erfolgreich. Aber der K-Frage muss sich die Partei irgendwann stellen - und damit zum ersten Mal vom Prinzip des Duos an der Spitze abweichen.