Selbst in den eigenen Reihen herrscht Gesprächsbedarf - aber offenbar nicht beim britischen Premier Johnson: Er sagt parteiinterne Gespräche über seinen Brexit-Kurs ab.
Die Zeichen in London stehen auf Sturm: Kurz vor der Rückkehr des britischen Parlaments aus den Sommerferien hat Premierminister Boris Johnson ein für Montag geplantes Treffen mit Gegnern seines Brexit-Kurses aus den eigenen Reihen abgesagt. Das dürfte den Unmut über Johnsons Brexit-Stategie weiter anfachen: Wenn das Parlament am Dienstag erstmals wieder zusammentritt, wird mit einer beispiellosen Auseinandersetzung gerechnet.
Johnson will sein Land notfalls auch ohne Abkommen Ende Oktober aus der EU führen, die Opposition und einige Abweichler aus der Regierungsfraktion wollen das um jeden Preis verhindern. Die Gegner eines No-Deal-Brexits streben ein Gesetz an, das Johnson dazu zwingen soll, das EU-Austrittsdatum noch einmal zu verschieben, sollte kein Deal zustande kommen.
-
Wie es bei den Briten weitergehen könnte
Misstrauensvotum, Verzögerungstaktik, Neuwahlen? Bis zum Brexit-Datum am 31. Oktober steht den Briten noch einiges bevor. Hier einige Optionen, die Opposition und Regierung haben.
Dafür bleibt aber kaum mehr Zeit, weil der Premierminister das Unterhaus schon kommende Woche in eine Zwangspause schicken will. Die Abgeordneten sollen erst am 14. Oktober zurückkommen. Der Schritt ist höchst umstritten, auch in Johnsons eigenen Reihen. Es sei ein Angriff auf die Demokratie, das Parlament in Zeiten einer nationalen Krise kaltzustellen, argumentieren Kritiker.
"Keine Regierung steht über dem Gesetz"
Aber selbst wenn die Opposition in der kurzen Zeit vor der Zwangspause ein solches Gesetz durchpeitschen kann: Unklar ist, ob sich die Regierung daran halten wird. Man müsse warten, was genau darin stehe, meinte Staatsminister Michael Gove, ein Vertrauter Johnsons. Er löste damit neuerliche Empörung aus. Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, äußerte sich entsetzt: "Keine Regierung steht über dem Gesetz", schrieb er auf Twitter.
Johnson selbst drohte Abweichlern in den eigenen Reihen mit Parteiausschluss, sollten sie sich im Parlament daran beteiligen, einen Ausstieg des Landes aus der EU ohne Abkommen zu verhindern. Der konservative frühere Justizminister David Gauke warf Johnson vor, seine Parteikollegen dazu anzustiften, gegen die Regierung zu stimmen, um sie gegen Abgeordnete auszutauschen, die den extremeren Ansatz von Johnson unterstützten. "Es ist offensichtlich eine besonders provokante Herangehensweise, und (...) darauf ausgelegt (...), die Konservative Partei neu auszurichten, um die Konservative Partei deutlich in die Richtung einer Brexit-Partei zu verwandeln", sagte er der BBC.
Das weitere Vorgehen ist unklar. Kompliziert ist die Lage auch deshalb, weil Großbritannien keine geschriebene Verfassung hat, sondern sich an teils Jahrhunderte alte Gepflogenheiten hält. Möglich sind neben dem Gesetzesvorhaben auch ein Misstrauensantrag der Opposition oder ein Antrag auf Neuwahlen durch die Regierung. Nach einer Umfrage der "Mail on Sunday" würden die Konservativen ihre Mehrheit von zurzeit einem Sitz auf mehr als 25 ausbauen.
Maas: Geordneter Brexit bessere Lösung
Seit dem 1. September nehmen britische Beamte an den meisten EU-Treffen nicht mehr teil. Das hatte Johnsons Regierung verfügt, damit die Beamten sich auf andere Aufgaben konzentrieren können.
Bundesaußenminister Heiko Maas forderte die britische Regierung auf, Vorschläge für einen geregelten Brexit vorzulegen. "Wir sind weiterhin überzeugt, dass ein geordneter Brexit für beide Seiten die bessere Lösung ist", sagte er der Funke Mediengruppe. Falls sich aber herausstelle, dass ein Brexit ohne Abkommen unausweichlich werde, sei Deutschland auf dieses Szenario vorbereitet.