Große Wohnungskonzerne enteignen? Der Städte- und Gemeindebund hält wenig von dieser Idee. Es sei ein "Irrglaube", dass das die Wohnungsnot lindere, so der Verband.
Die Kommunen warnen vor negativen Folgen einer Enteignung großer Wohnungsunternehmen. "Durch derartige publikumswirksame Diskussionen, die sogar von einigen Politikern unterstützt werden, wird die Bereitschaft von privaten Investoren, neuen und zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, im Zweifel deutlich reduziert", sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, der "Passauer Neuen Presse". Die Hoffnung, Enteignungen großer Wohnungskonzerne könnten die Wohnungsnot lindern, bezeichnete er als "Irrglauben". Zudem seien Enteignungsverfahren überaus langwierig, kompliziert und oftmals erfolglos. Auch entstehe dadurch keine einzige neue Wohnung. Stattdessen forderte Landsberg, dass schneller neue Wohnungen gebaut und überflüssige, das Bauen verteuernde Standards und Regeln eingeschränkt werden.
Hochgekocht war die Debatte durch das Berliner Volksbegehren, das die Enteignung großer Wohnungsunternehmen erreichen will. Die Sammlung von Unterschriften hatte am Wochenende begonnen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach im "Münchner Merkur" von "wirklich sozialistischen Ideen", die mit bürgerlicher Politik "nichts zu tun" hätten. Sein CSU-Parteikollege, Bayerns Bauminister Hans Reichhart, nannte die Debatte "schwachsinnig" und von "vorgestern".
Harsche Kritik aus der CSU
SPD-Bundesvize Ralf Stegner dagegen bezeichnete Enteignungen als ein letztes "Notwehrrecht" des Staates. "Es gibt teilweise halbkriminelles Verhalten, bei dem die Not der Mieter ausgenutzt wird. In diesen Fällen muss der Staat Handlungsfähigkeit beweisen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch Grünen-Chef Robert Habeck hält Enteignungen nach eigenen Worten prinzipiell für denkbar. Wenn etwa Eigentümer brachliegender Grundstücke weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollten, müsse notfalls die Enteignung folgen, sagte er der "Welt am Sonntag". Aber es müsse auch immer gefragt werden, ob Gelder, die zur Entschädigung bei einer Enteignung eingesetzt werden müssten, nicht mit größerem Effekt anders verwendet werden könnten.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt griff Habeck scharf an. Wer nach dem Motto "Enteignen statt Bauen" handele, schaffe "nur neue soziale Ungerechtigkeiten und stellt den gesellschaftlichen Frieden in Frage", sagte er der Funke-Mediengruppe. CSU-Generalsekretär Markus Blume warf Habeck vor, "jegliche Orientierung verloren" zu haben. Sozialistische Ideen hätten noch nirgendwo funktioniert, sagte er der "Rheinischen Post". Wenn Habeck es ernst meine, könne er "mit seiner Enteignungsidee ja mal bei den Luxus-Penthouse-Wohnungen seiner Grünen-Anhänger am Prenzlauer Berg anfangen".
Stegner: Notwehrrecht gegen Marktradikalismus
Stegner dagegen erinnerte daran, dass das Grundgesetz festlege, dass Eigentum verpflichte. Dort stehe nicht, dass sich jeder selbst der Nächste und der Markt heilig sei. Enteignungen seien sicher nicht das vordringlichste Mittel, um das Grundrecht auf bezahlbares Wohnen durchzusetzen, schrieb er auf Twitter. "Neben Mietenstopp, Bodengewinnbesteuerung, mehr Mieterrechten und der Förderung von Genossenschaften bleibt es aber Notwehrrecht gegen Marktradikalismus für handlungsfähigen Staat!" Er widersprach damit auch der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. Die hatte sich gegen Enteignungen ausgesprochen. Stattdessen wolle die SPD einen Mietenstopp.
Linken-Chefin Katja Kipping warf der SPD daraufhin Zögerlichkeit bei der Enteignungsfrage vor. "Ich wünsche mir mehr Mut von Andrea Nahles und der SPD", sagte sie der "Welt". Die Mitte werde jeden Monat durch explodierende Mieten enteignet. "Deshalb brauchen wir die Sozialisierung der Wohnungskonzerne."
Bundesweit hatten am Samstag Zehntausende gegen steigende Mieten demonstriert. Die Initiatoren des nicht bindenden Volksbegehrens berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Er lässt unter Bedingungen die Überführung von Grund und Boden oder Produktionsmitteln gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu. Der Vorstoß zielt vor allem auf den Konzern Deutsche Wohnen ab, der in Berlin rund 112.000 Wohnungen besitzt. Der Aufkauf könnte das Land Berlin mehr als 30 Milliarden Euro kosten.
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Enteignungsdebatte: Um was es geht
Mieter in Berlin beklagen die Ungleichheit der Wohnverhältnisse in der Stadt, eine Initiative fordert die Enteignung der Deutsche Wohnen - Fragen und Antworten zum Fall.