Am 26. August 2018 wird in Chemnitz ein 35-jähriger Deutscher erstochen - eine Tat mit weitreichenden Folgen. Nun steht der Prozess gegen einen Tatverdächtigen vor dem Abschluss.
In Dresden geht an diesem Donnerstag wohl der Prozess zu einem der folgenreichsten Verbrechen in der jüngeren Geschichte des Bundeslands Sachsen zu Ende. Der Fall und dessen Folgen hatten auch international Aufmerksamkeit erregt. Knapp ein Jahr nach dem Tod eines 35 Jahre alten Deutschen durch Messerstiche wird das Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Chemnitz erwartet.
Verteidigung fordert Freispruch
Die Staatsanwaltschaft hatte am vorangegangenen 18. Verhandlungstag für den angeklagten 24-jährigen Syrer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert. Die Verteidigung plädierte hingegen am Donnerstag auf Freispruch für den Angeklagten sowie die Aufhebung des Haftbefehls und eine Haftentschädigung für den Mann, der seit knapp einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt.
Es gebe keinerlei Beweise dafür, dass der Syrer am Rande eines Stadtfests in Chemnitz gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker den 35-Jährigen getötet und einen weiteren Mann schwer verletzt habe, argumentierte die Verteidigung. Verteidiger Frank Wilhelm Drücke rückte in seinem Plädoyer die Geschehnisse nach der Tat in den Blickpunkt. "Für uns ist das mitnichten ein normales Verfahren", sagte er.
Der Angeklagte soll gemeinsam mit dem flüchtigen Iraker am 26. August 2018 in Chemnitz den 35-jährigen Daniel H. erstochen und einen weiteren Mann mit einem Messerstich schwer verletzt haben. Der mutmaßliche Mittäter ist weltweit zur Fahndung ausgeschrieben. Nach der Tat war es in Chemnitz zu rechten Demonstrationen und rassistisch motivierten Übergriffen gekommen.
Tat mit weitreichenden Folgen
Vor Gericht hatte der Angeklagte zu den Tatvorwürfen geschwiegen. Kurz vor dem erwarteten letzten Verhandlungstag hat er in einem Interview mit dem ZDF-Magazin Frontal 21 seine Unschuld beteuert. Nach Angaben des Landgerichts haben die Aussagen keinen Einfluss auf die Urteilsfindung der Kammer.
Weit mehr als das Verbrechen warfen die Folgen national wie international ein Schlaglicht auf Chemnitz. Bilder von rechten Demonstrationen, Aufmärschen von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffen sowie dem Zeigen des Hitlergrußes in zahlreichen Fällen gingen um die Welt. Ein jüdisches und drei andere Restaurants mit ausländischer Küche wurden überfallen. Später flog die rechtsextreme Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" auf. Der Prozess gegen die acht mutmaßlichen Mitglieder beginnt am 23. September.
Die Stadt wehrte sich gegen das Image als Nazi-Hochburg. So organisierte die Chemnitzer Band Kraftklub das #wirsindmehr-Konzert gegen Rechts und Rassismus unter anderem mit den Toten Hosen, zu dem 65.000 Menschen kamen.
Fall hatte auch politische Dimension
Der Fall hatte auch eine politische Dimension. Der Streit um die Frage, ob es "Hetzjagden" gegeben habe, wurde zur Zerreißprobe für die Große Koalition aus Union und SPD - und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, seinen Posten verlor. Im November 2018 versetzte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen dann in den einstweiligen Ruhestand, nachdem dieser laut einem Redemanuskript von teils "linksradikalen Kräften in der SPD" gesprochen hatte.
Am Sonntag könnte die Stimmung in Chemnitz wieder hochkochen: Die vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Bewegung Pro Chemnitz hat dann zu einer Kundgebung aufgerufen.