Sie fliehen nach Europa, bis sich ihre Spur verliert. Viele Familien wissen nicht, wo ihre Angehörigen geblieben sind. Und das Rote Kreuz hat schlimme Befürchtungen.
Die Zahl der Suchanfragen von Migranten, die Verwandte vermissen, bleibt beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) im zu Ende gehenden Jahr auf Rekordniveau. Von Januar bis Mitte Dezember wurden 2.700 Anfragen neu gestellt, wie die "Welt" unter Berufung auf die vorläufige Bilanz des DRK-Suchdienstes berichtet.
Die meisten Schutzsuchenden stammen aus Afghanistan, Somalia und Syrien
2014, also vor dem Höhepunkt der großen Fluchtbewegung nach Deutschland, hatte die Zahl der Anfragen bei 1.053 gelegen. DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt sprach von einer beunruhigenden Entwicklung. "Erschreckend ist vor allem die nach wie vor hohe Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die entweder selbst ihre Angehörigen suchen oder von diesen gesucht werden", sagte sie der Zeitung. Diese Zahl liege bei mehr als 1.000 Mädchen und Jungen und sei damit im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert.
Die meisten Schutzsuchenden, die in Deutschland Suchanfragen stellen, stammen den Angaben zufolge aus Afghanistan, Somalia und Syrien. "Für Familien gibt es wohl nichts Schlimmeres als nicht zu wissen, ob ein Angehöriger noch lebt oder was mit ihm geschehen ist", sagte Hasselfeldt. In etwa jedem zweiten Vermisstenfall kann der DRK-Suchdienst demnach helfen oder zumindest Informationen liefern. Doch bei einem Teil der Gesuchten, so Hasselfeldt, müsse man leider davon ausgehen, dass sie auf der Flucht ums Leben gekommen seien: "Da die Identifizierung der Toten auf den verschiedenen Fluchtrouten nicht immer möglich ist, werden viele Schicksale deshalb auch ungeklärt bleiben."
Der DRK-Suchdienst war im April 1945 in Flensburg am Rande der großen Flüchtlingsströme zunächst von Freiwilligen gegründet worden. Im September wurde er unter dem Namen "Deutsches Rotes Kreuz, Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst, Zentrale-Suchkartei" nach Hamburg verlegt. Als "Zonen-Zentrale Hamburg" setzte er die Arbeit dort fort. Fast zeitgleich begann die Suchdienstarbeit in München, der Zonen-Zentrale im US-amerikanischen Sektor. Die Suchdiensthelfer erfassten Suchanfragen, forschten nach vermissten Angehörigen und bemühten sich über Ländergrenzen hinweg, getrennte Familien zusammenzuführen. Später entstand eine Zentrale Namenskartei mit mehr als 50 Millionen Karteikarten.