Eine andere Koalition, Neuwahlen oder Experten-Regierung: In Italien sucht Staatspräsident Sergio Mattarella einen Weg aus der Regierungskrise. Vier mögliche Szenarien.
Italiens Regierung ist gescheitert und Staatspräsident Sergio Mattarella steht vor der schwierigen Aufgabe, einen Weg aus der Krise zu finden. Sein wichtigstes Ziel: Das Land stabil halten. "Das heißt, dass das Land nicht unter Druck gerät an den internationalen Finanzmärkten. Italien steht schon vor einer Rezension", so ZDF-Korrespondentin Annette Hilsenbeck in Rom.
Vor allem eine Aufgabe macht Mattarella Druck: Bis zum 15. Oktober muss ein neuer Haushaltsplan bei der Europäischen Union vorliegen. Damit das klappt soll es so schnell wie möglich eine neue Regierung geben. Vier mögliche Szenarien:
Neue Mehrheit im Parlament
Italiens Staatspräsident Mattarella prüft in diesen Tagen, ob es im Parlament eine alternative Mehrheit zur Lega und Fünf-Sterne-Bewegung gibt, die eine Regierung bilden könnte.
Denkbar ist eine Koalition der Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemokratischen PD. Zusammen hätten sie eine hauchdünne Mehrheit in den Kammern. Bisher waren die beiden Parteien Gegenspieler. Doch Politikwissenschaftler Roman Maruhn aus Palermo traut den Sozialdemokraten zu, dass sie in die Bresche springen, um Neuwahlen zu verhindern. "Es wäre eine wackelige Mehrheit, aber Möglichkeit die Situation zu retten", so Maruhn.
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Nach seiner Einschätzung würden die Sozialdemokraten verhindern wollen, dass der bisherige Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega bei Neuwahlen an die Macht käme. Er hatte die Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung vor zwei Wochen platzen lassen und erhofft sich, selbst Premier zu werden.
PD-Chef Nicola Zingaretti hat bereits signalisiert, dass er für Verhandlungen mit den Fünf Sternen offen ist. Seine Partei prüfe, ob es Voraussetzungen für eine "Regierung der Umkehr" gebe, so Zingaretti. Gleichzeitig stellte er für mögliche Verhandlungen Bedingungen auf. Darunter die "treue Mitgliedschaft" in der Europäischen Union und eine Änderung der Migrationspolitik.
Sollten sich die beiden Parteien tatsächlich einigen, ist fraglich, wie lange ihre Koalition bestehen würde. "Das mangelnde Vertrauen und Streitigkeiten in der Vergangenheit erschweren, dass eine solche Koalition länger als ein paar Monate besteht", sagt Pawel Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Es sei auch kaum zu erwarten, dass eine Regierung, die von Sozialdemokraten und Fünf Sternen unterstützt wird, die Strukturreformen durchführen kann, die das Land dringend benötige.
Neuwahlen
Quelle: Reuters
Kommt keine alternative Mehrheit zustande, könnte Mattarella die Parlamentskammern auflösen. Dann gäbe es 60 Tage später Neuwahlen. Diese könnten bereits Ende Oktober stattfinden und damit dreieinhalb Jahre vor Ende der Legislaturperiode. Aus Sicht des Politologen Maruhn sei es nicht im Interesse des Staatspräsidenten, dass es schon nach so kurzer Zeit wieder Neuwahlen gibt und im politischen Italien herrsche die Einstellung: "Es gibt genug zu tun, wir gehen nicht an die Urnen".
Matteo Salvini hingegen spekuliert auf Neuwahlen. Er hofft, dass seine Lega dann zur stärksten Kraft und er der nächste Ministerpräsident wird. Umfragen zufolge könnte die Lega auf bis zu 38 Prozent kommen. Sie könnte dann ein Bündnis mit der Forza Italia von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi und den ultrarechten Fratelli d'Italia eingehen.
Eine Zusammenarbeit von Fünf Sternen und Sozialdemokraten, die den Zweck hat Neuwahlen zu verhindern, um Salvini nicht an die Macht kommen zu lassen, würde diesem sogar helfen, so Politologe Tokarski. "Je länger eine 'Anti-Salvini' -Koalition an der Macht bleibt, desto eher wird die Unterstützung für Lega zunehmen. Salvini könnte sich perfekt als 'Opfer des Systems' positionieren."
Experten-Regierung
Findet sich keine neue Koalition, bleibt Italiens Staatspräsident noch die Möglichkeit, eine Regierung aus Fachleuten einzusetzen. So eine Experten-Regierung hat es in Italien schon häufiger gegeben. Diese könnte dann vor allem das wichtige Haushaltsgesetz für das kommende Jahr verabschieden. Außerdem könnten die Fachleute die von den Fünf Sternen verlangte Verkleinerung des Parlaments durchsetzen. Eine Neuwahl würde dann vermutlich erst im kommenden Jahr stattfinden.
Allerdings braucht auch eine Expertenregierung das Vertrauen des Parlaments. Ob sie dieses bekommen könnte, hängt auch davon ab, ob sich die Fünf-Sterne-Bewegung und die sozialdemokratische PD auf einen gemeinsamen Kurs einigen können. Dass es zu diesem Senario kommt hält Politikwissenschaftler Maruhn für eine "Notfall-Option". Ein neue Koalition sei wahrscheinlicher.
Rückkehr von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung
Matteo Salvini hat die Brücke zwischen Lega und Fünf Sternen eingerissen. Ihre "Regierung des Wandels" ist gescheitert. Doch auf die Frage, ob eine Annäherung an die Sterne doch noch möglich sei, sagte er, sein Telefon sei immer angeschaltet. Hinter solchen Äußerungen vermutet Politologe Maruhn: "Vielleicht hat er Angst davor, dass sein Koalitionsbruch ihm Nachteile bring und er bei den Wählern als unzuverlässig gilt." So versuche er sich die Türen zur Macht offenzuhalten. Dass Lega und Fünf Sterne tatsächlich wieder zusammen finden, sei unwahrscheinlich.