30 Jahre nach dem Mauerfall sind sich Ost und West nähergekommen. Aber die Unterschiede leben auch. Hier die zehn wichtigsten Ergebnisse der exklusiven Befragung des ZDF.
Ist zusammengewachsen, was zusammengehört? Können wir stolz auf 30 Jahre deutsche Einheit sein, oder kaschieren wir kollektives Versagen?
1. Wo begegnen wir uns?
Mauer weg, endlich Reisefreiheit für alle. Ostdeutsche nutzten das nicht nur, um sich Mallorca und die Welt anzugucken, sondern auch den bisher unbekannten Teil Deutschlands. 95 Prozent aller Ostdeutschen haben seit der Wiedervereinigung die alten Bundesländer besucht. Doch für erstaunlich viele Westdeutsche ist dieser deutsch-deutsche Tourismus noch immer eine Einbahnstraße: Jeder fünfte Westdeutsche war noch nie in Ostdeutschland (21 Prozent).
2. Gibt‘s noch Besserwessis?
Schnell nach der Wende waren sie etabliert, die beiden hartnäckigsten Klischees: Besserwessi und Jammerossi. Was wurde aus diesen Vorurteilen? Fast die Hälfte der Ostdeutschen (49 Prozent) hält Westdeutsche heute noch für eher besserwisserisch. Und Westdeutsche sind hier durchaus selbstkritisch: Fast ein Drittel (30 Prozent) sieht sich selbst als eher besserwisserisch.
3. Was wurde aus den Jammerossis?
Ein Drittel der Westdeutschen (34 Prozent) sagt noch immer: Ostdeutsche jammern mehr. Immerhin ein Viertel der Ostdeutschen (27 Prozent) sagt das auch über sich selbst. Die Vorurteile auf beiden Seiten sind also noch da, wenn auch nicht mehr so stark ausgeprägt.
4. Wo sind die Frauen emanzipierter?
DDR-Frauen bekamen Krippenplätze und Babyjahr quasi staatlich verordnet, weil ihre Arbeitskraft gebraucht wurde. Im Westen arbeiteten Frauen damals deutlich weniger, sie mussten sich ihre Emanzipation ab den 60er Jahren zudem hart erkämpfen.
Und heute? Haben sich die Rollenbilder vererbt? Wo sind die Frauen emanzipierter? Hier ergibt sich ein deutlicher Meinungsunterschied zwischen den Landesteilen: Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Ostdeutschen sind überzeugt, dass die Frauen im Osten emanzipierter sind. Das glaubt nur ein knappes Drittel der Westdeutschen (30 Prozent). Dass die westdeutschen Frauen emanzipierter sind, glaubt immerhin ein Viertel der Westdeutschen (25 Prozent), aber nur fünf Prozent der Ostdeutschen.
5. Wo ist rechts?
Wo sind rechtspopulistische Meinungen eher verbreitet, wollten wir wissen. Hier herrscht große Einigkeit: Im Osten, sagen 75 Prozent der Westdeutschen und 59 Prozent der Ostdeutschen. Nur jeweils 3 Prozent verorten rechtspopulistische Einstellungen eher im Westteil Deutschlands. Fast ein Drittel der Ostdeutschen (31 Prozent) sieht jedoch keinen großen Unterschied.
6. Lebensleistung Ostdeutscher ausreichend gewürdigt?
Der frühere Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt es in unserer Dokumentation so: "Für die Ostdeutschen hat sich mit der Wende alles verändert, für die Westdeutschen nur die Postleitzahl." Millionen Ostdeutscher wurden nach dem Mauerfall erst mal arbeitslos, mussten sich ihr Leben über Nacht neu erfinden. Viel gesprochen über diese großen Biographie-Brüche wurde meist nicht.
Ein Versäumnis, das den Deutschen heute auf beiden Seiten bewusst ist: Eine Mehrheit in beiden Landesteilen ist der Meinung, dass die Lebensleistung der Ostdeutschen nicht ausreichend gewürdigt wurde, wenn auch die Mehrheit in Westdeutschland mit 51 Prozent deutlich knapper ausfällt als im Osten mit 72 Prozent.
7. Lohnunterschiede gerechtfertigt?
Bis heute verdient man im bayrischen Ingolstadt im Schnitt mehr als doppelt so viel wie im sächsischen Görlitz. Eine große Mehrheit der Ostdeutschen (93 Prozent) wie auch der Westdeutschen (74 Prozent) hält diese Unterschiede bei Löhnen und Gehältern für nicht gerechtfertigt. Immerhin jeder fünfte westdeutsche Befragte (21 Prozent) hält die Unterschiede für eher gerechtfertigt.
8. Pro und Contra Ost-Quote
Laut einer Studie schaffen es nur 1,7 Prozent der Ostdeutschen in die Spitzenpositionen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Und das, obwohl sie 16 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Immer wieder wird deshalb eine Ost-Quote diskutiert, also ein vorgeschriebener Mindestanteil Ostdeutscher in Führungspositionen. Die Mehrheit auf beiden Seiten Deutschlands spricht sich in unserer Umfrage jedoch gegen die Einführung einer solchen Ost-Quote aus (Ost 50 Prozent, West 65). Im Osten allerdings polarisiert die Frage: Hier sind auch 42 Prozent dafür.
9. Zukunft des Soli
Über den Solidaritätszuschlag wird seit Jahren gestritten. Nötig geworden 1991 für den "Aufbau Ost" und abgeführt von Steuerzahlern auf beiden Seiten, soll er ab 2021 weitgehend auslaufen - so hat es die Große Koalition beschlossen.
Doch an der Frage scheiden sich die Geister: Soll der Soli wegfallen oder soll er weiter erhoben werden und dann auch anderen strukturschwachen Regionen in ganz Deutschland zugutekommen, fragen wir. Behalten, sagen darauf 72 Prozent im Osten und 52 Prozent im Westen. Im Westen sind aber auch 44 Prozent der Befragten für die Abschaffung des Soli, im Osten wollen das nur 23 Prozent.
10. Wiedervereinigung alles in allem gut?
Eine große Mehrheit der Deutschen in West (68 Prozent) und Ost (59 Prozent) meint aus heutiger Sicht, die Wiedervereinigung war "alles in allem gut".
"Teils gut, teils schlecht", sagt ein gutes Drittel im Osten (37 Prozent), im Westen sehen das nur 27 Prozent so. Und nur eine kleine Minderheit, nämlich 3 Prozent im Westen und 2 Prozent im Osten, betrachten die Wiedervereinigung heute als "schlecht".
Auffällig bei dieser Frage: je jünger die Befragten, desto positiver ist deren Sicht auf die Deutsche Einheit.
Quelle: Zugrunde liegt eine repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF. Dafür wurden 1.316 Telefoninterviews im Juni 2019 geführt.
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Christiane Hübscher ist Korrespondentin im ZDF-Haupstadtstudio.