Kaum eine Brücke, Straße oder Schule, die in Osteuropa nicht mit EU-Fördergeldern gebaut wurde. Doch daran bereichern sich auch Regierende wie Tschechiens Ministerpräsident.
Wer in Tschechien in einen Supermarkt geht, hat gute Chancen beim Regierungschef einzukaufen. Toastbrot, Wurst, Joghurt, Butter, Hühnerschenkel - alles aus Unternehmen des Konzerns Agrofert, hinter dem Andrej Babis steht, tschechischer Ministerpräsident.
Aktivisten haben sogar eine App entwickelt, mit der man Produkte scannen kann und die dann anzeigt, ob "Andrej" drinsteckt oder nicht. Denn nicht jeder findet es in Ordnung, dass große Politik und Big Business bei Babis in einer Art Personalunion vereint sind.
Unternehmer und Politiker in einer Person
Quelle: ap
Seit den 1990ern baut Andrej Babis seinen Konzern Agrofert aus. Heute gehört er zu den reichsten Tschechen, sein Konzern umfasst über 200 Firmen. In politischen Ämtern ist Babis seit 2014 - immer auf Posten, die für seine geschäftlichen Interessen von Belang sind: Erst war er Finanzminister, dann Ministerpräsident.
Lukas Wagenknecht konnte aus der Nähe beobachten, wie Babis damit umging. Der gelernte Wirtschaftsprüfer war Babis' Finanzstaatssekretär. Babis sei in die Politik gegangen, weil es dem Geschäft dient, meint Wagenknecht. Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass Wagenknecht nicht lange auf seinem Posten blieb. "Das ist das Gefährlichste", sagt er. "Babis hat die Macht, die Regeln zu ändern, die Gesetze. Vorher waren sie nicht unter seinem Einfluss, da hat er Regeln brechen müssen, wenn sie ihm nicht passten. Heute ändert er sie und so bricht er keine Regeln."
Regeln ändern und davon profitieren
Vor seiner politischen Karriere brach Babis einmal die Regeln: 2008 bekam er für den Bau des Hotel Storchennest 1,6 Millionen Euro EU-Fördergeld. Das Geld kam aus einem Fond für kleine und mittlere Unternehmen, sogenannte KMU. EU-Betrugsbekämpfer stellten fest: Das war Betrug. Denn das Hotel Storchennest war kein kleines Unternehmen, es war stets Teil von Babis‘ riesigem Firmenimperium.
Inzwischen hat die tschechische Regierung Regeln geändert. Seit Babis Amtsantritt haben sich die EU-Subventionen für seine Firmen fast verdoppelt. Ein Beispiel: KMU-Fördertöpfe wurden für große Firmen weiter geöffnet. So können die Großen inzwischen bis zu 60 Prozent aus den KMU-Töpfen abziehen.
Der tschechische Rechnungshof protestiert, die EU-Kommission protestiert - aber es ist alles rechtens. Denn tatsächlich regeln die Nationalstaaten selbst, wie EU-Gelder ausgezahlt werden. Und sie übernehmen auch einen Großteil der Kontrolle.
Ärger mit der EU-Kommission
Quelle: ZDF
Der Konflikt zwischen Babis' wirtschaftlichen und politischen Interessen führte zu einer europäischen Premiere: Erstmals sperrte die EU-Kommission sämtliche Zahlungen an Agrofert-Firmen in Tschechien. Dass der Regierungschef sein Unternehmen an Treuhandfonds übertragen hat, reiche nicht, so die EU-Kommission. Zumindest nicht, solange er selbst Nutznießer dieser Treuhandfonds bleibt.
Doch die Maßnahme der EU-Kommission bleibt in Tschechien bislang ohne Folge. Die örtlichen Behörden zahlen weiter Fördergelder an Agrofert-Firmen aus. Der zuständige Kommissar Günther Oettinger kann da nur mit den Schultern zucken: "Ich kann einem Nationalminister nicht verbieten, was er macht. Ob er dann kein Geld von uns bekommt, ist unsere Angelegenheit." Auf die Frage, ob damit der tschechische Steuerzahler für die Geschäfte des Ministerpräsidenten grade stehen muss, antwortet Oettinger: "Das mag sein. Wir sind nicht die Aufsicht der nationalen Ministerien."
Babis will weiter über Verwendung der EU-Gelder entscheiden
Ein Interview mit dem ZDF lehnen sowohl der Konzern Agrofert als auch Ministerpräsident Babis ab. Wir reisen ihm nach zu einem Treffen von Regierungschefs aus Mittel- und Osteuropa. Auch hier weicht er unseren Fragen aus. Aber es wird auch so klar, wie seine Prioritäten aussehen. Er kritisiert den übermäßigen Einfluss von Brüssel und fordert, dass Tschechien wegen dem Brexit nicht weniger EU-Gelder bekommen sollte. "Keinesfalls akzeptieren wir weniger Mittel der EU", sagte er. "Wir sollten darüber entscheiden, wie wir das Geld verwenden."
Babis hat gute Chancen, das zu erreichen. Denn am Ende des Tages entscheiden die Regierungschefs Europas, wieviel Geld die EU hat, wie es verteilt und wie stark es kontrolliert wird. Andrej Babis ist Regierungschef – und wird es allen Skandalen zum Trotz wohl auch noch eine Weile bleiben.