Mehr Zugfahrten, viele Ausflüge, ein Gewinn für Ärmere: Das 9-Euro-Ticket hat dem Nahverkehr in Deutschland einen Schub gegeben - aber die Wirkung wird wohl wenig nachhaltig sein.
Das 9-Euro-Ticket hat die Mobilität der Menschen in Deutschland in den vergangenen drei Monaten grundlegend verändert. Das zeigen erste Forschungsergebnisse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie des Statistischen Bundesamts. Dabei haben nicht nur reichere Menschen - wie beim Tankrabatt - profitiert, sondern auch arme Haushalte.
Deutlich mehr Bahnverkehr
Das 9-Euro-Ticket war für alle Menschen ein Verkaufsschlager. Quasi über Nacht ist im Juni die Zahl der Zugfahrten in Deutschland explodiert. Bis zu 56 Prozent mehr Bahnfahrten im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 gab es in den ersten paar Tagen nach der Einführung des Tickets.
Das zeigen Berechnungen des Statistischen Bundesamts auf Basis von Handydaten des Telekommunikationsanbieters Telefónica, hierzulande als Betreiber des O2-Mobilfunknetzes bekannt. Diese Daten umfassen allerdings nur Distanzen von 30 Kilometern und mehr - darunter lassen sich die genutzten Verkehrsmittel nicht sicher voneinander unterscheiden.
Effekt durch das 9-Euro-Ticket so stark wie Corona
Und der Hype um das 9-Euro-Ticket hat nach den ersten Juni-Tagen nicht abgenommen: Selbst Mitte August lag die Zahl der Bahnfahrten noch mehr als 40 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau. Zum Vergleich: Der Straßenverkehr lag maximal fünf Prozent über dem damaligen Level.
Diese Veränderung gehe nicht einfach nur auf das bessere Wetter im Sommer zurück, sondern zum größten Teil konkret auf die Einführung des Tickets, schließen die Forschenden vom DLR.
Die meisten haben das 9-Euro-Ticket für die Freizeit benutzt
Das 9-Euro-Ticket ist laut DLR-Studie vor allem ein Freizeitticket. Besonders für Ausflüge am Wochenende, private Erledigungen oder Freizeitwege unter der Woche haben die Menschen die neue, günstige Möglichkeit genutzt.
Das zeigt auch eine weitere Auswertung von Mobilfunkdaten des Statistischen Bundesamts. Gerade Fahrten an die Nord- und Ostsee oder die Alpen haben deutlich zugenommen. Die Zugfahrten in ländliche, touristische Regionen haben sich im Vergleich zu 2019 zeitweise fast verdoppelt.
Aller Voraussicht nach hat sich das Verhalten der Menschen aber nicht langfristig geändert. Nur neun Prozent der Befragten in der DLR-Studie gaben an, dass sie nach Ablauf des Tickets ab September häufiger Bus und Bahn nutzen werden als während der Aktion.
"Das 9-Euro-Ticket ist ein Angebot für alle"
Das 9-Euro-Ticket sei "ein Angebot für alle", so Studienleiterin Claudia Nobis vom DLR. Die Besitzer*innen des Tickets würden laut Studie ziemlich genau die Gesellschaft abbilden - sei es hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bildung oder Arbeit.
Auch wenn der günstige Probezeitraum langfristig nicht mehr Leute vom Nahverkehr überzeugt hat, so hat sich das Projekt für eine Gruppe besonders gelohnt: ärmere Menschen.
Vor allem für Ärmere war das 9-Euro-Ticket ein Gewinn
Gerade für ärmere Haushalte war das Ticket ein "wirklicher Gewinn", sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Viele konnten "zum ersten Mal seit langem überhaupt mal einen Ausflug an die See oder in die Berge machen".
Für viele einkommensschwache Familien mit kleinen Kindern oder Rentner*innen war das Ticket mehr als nur ein "Add-On", so Schneider. Denn normalerweise ist überhaupt kein Geld für Mobilität da. Deshalb plädiere sein Verband auch für eine Fortsetzung des Angebots - zum Beispiel als 365-Euro-Ticket für das gesamte Jahr und kostenlose Tickets für besonders bedürftige Menschen.
Ohne Nachfolgeticket fielen Fahrten an die See oder die Berge wieder weg, so Ulrich Schneider. "Ja, es waren viele zusätzliche Fahrten. Aber es waren Fahrten, die mit Grundbedürfnissen menschlichen Daseins zu tun haben. Nämlich Mobilität und soziale Kontakte."