Mediziner warnen vor massiven Engpässen bei der klinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. In vielen Kliniken seien Betten wegen Personalmangels nicht belegbar.
Ärzteverbände prangern dramatische Versorgungsengpässe und Missstände in den deutschen Kinderkliniken an. Grund sei vor allem Personalmangel, so dass viele Krankenhausbetten nicht belegt werden könnten, sagte der Präsident der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
"Im Herbst waren nahezu alle Kinderkliniken komplett überlastet. Das kann im kommenden Herbst wieder drohen, wenn sich die Lage bis dahin nicht ändert", warnte er.
Dötsch sagte, die Versorgung von Kindern im Krankenhaus sei schwerer zu kalkulieren als die von Erwachsenen. Rein wirtschaftlich rechneten sich Kinderkliniken daher oft nicht. Dazu kämen verbindliche Personaluntergrenzen: So dürfe sich eine Pflegekraft zum Beispiel nachts maximal um zehn Kinder kümmern. Bei jedem weiteren Kind müsse eine zusätzliche Kraft eingeplant werden - die oft fehle. Das führe dazu, dass viele Betten mangels Personals nicht zu betreiben seien.
Neben grippalen Infekten nehmen auch schwere Atemwegserkrankungen zu: Ärzte sorgen sich vor dem Winter, denn ungewöhnlich viele Kinder müssen aktuell ins Krankenhaus.
Dötsch rügte, man dürfe nicht nur rein wirtschaftlich denken. Denn mit der Kinder- und Jugendmedizin sei es wie mit der Feuerwehr:
Auch zu normalen Zeiten kommt es laut Dötsch vor, dass sechs oder sieben Kliniken durchtelefoniert werden, bis ein passendes Bett gefunden ist. "Es ist auch schon vorgekommen, dass wir Kinder über die Grenze nach Luxemburg, Belgien oder in die Niederlande verlegt haben." Für die Kinder und Familien sei das eine Riesenbelastung.
Bettenzahl sinkt, Fallzahlen steigen
Nach Angaben der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist zwischen 1991 und 2017 die Bettenzahl in der Pädiatrie um ein Drittel gesunken. Im gleichen Zeitraum stiegen die jährlichen Fallzahlen aber: von durchschnittlich 900.000 behandelten Kindern und Jugendlichen auf inzwischen mehr als eine Million.
Zu viel Belastung, zu wenig Geld und Personal: Die Corona-Pandemie macht für alle sichtbar, was schon seit Jahren in Kliniken Realität ist. "ZDFzoom" will wissen: Was hilft gegen den Notstand?
Der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Florian Hoffmann, pflichtete Dötsch bei.
Doch ein System, das man über Jahre nach unten gefahren habe, könne man nicht einfach wieder hochfahren. "Selbst wenn die Politik jetzt gegensteuert, werden Veränderungen frühestens in einigen Jahren greifen. Der Trend wird erstmal noch weiter bergab gehen", sagte er den Funke-Blättern.
Mangel an Pflegekräften: Viele Betten nicht belegbar
Viel schlimmer als unzureichende Erstattungen sei ein anderes Problem, sagte er. "Wir werden in den Kinderkliniken durch den Mangel an Pflegekräften immer weniger Betten betreiben können." Die Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten machten es immer schwieriger, die Pflegekräfte langfristig im Beruf zu halten.
Grassierendes RS-Virus
Der Mangel habe schlimme Folgen, warnte er. "In vielen deutschen Kinderkliniken können auf den Kinderintensivstationen im Schnitt ein Drittel der Betten wegen Personalmangels nicht genutzt werden."
"Wenn es Infektionswellen gibt, wie sie im Herbst in der Regel vorkommen, haben wir keine Chance, alle Kinder zu versorgen," sagt der Intensivmediziner.