Studie: Alzheimer-Medikament bremst das Vergessen

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    Studie zu Lecanemab :Alzheimer-Medikament bremst das Vergessen

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    Hoffnung für Alzheimer-Erkrankte? Einer Studie zufolge verlangsamt ein neues Medikament das Fortschreiten der Demenz. Ein Überblick über die Ergebnisse und wie es jetzt weitergeht.

    Illustration von Nervenzellen eines Gehirns mit Alzheimer
    Zellen in einem von Alzheimer betroffenen Gehirn: Große Mengen des Beta-Amyloid-Proteins verklumpen sich zu Plaques (braun), die die Zellfunktion stören. Große Ansammlungen des Tau-Proteins bilden Knäuel (blau) innerhalb der Neuronen, die die Kommunikation zwischen den Nervenzellen beeinträchtigen.
    Quelle: ap

    Lichtblicke in der Alzheimer-Forschung sind selten. Im September hatten der US-Konzern Biogen und sein japanischer Partner Eisai Hoffnungen zu einem neuartigen Medikament geweckt. Nun haben die Unternehmen die vollständigen Daten der Studie vorgestellt.
    Demnach verlangsamt das Mittel Lecanemab den geistigen Abbau bei Alzheimer-Patienten im Frühstadium der Krankheit deutlich - im Durchschnitt um 27 Prozent. Heilen kann es Alzheimer nicht. Zudem birgt die Behandlung für bestimmte Patienten schwere Nebenwirkungen. Wichtige Fragen und Antworten zum Thema im Überblick:

    Wo setzt das Alzheimer-Mittel von Biogen und Eisai an?

    Charakteristisch für die Alzheimer-Erkrankung - an dieser Form der Demenz leiden in Deutschland Schätzungen zufolge mehr als eine Million Menschen - sind Ablagerungen von Eiweißen im Gehirn - und das bereits Jahre, bevor erste Symptome wie Vergesslichkeit, Verwirrtheit oder Orientierungslosigkeit auftreten.
    Der von den Unternehmen Biogen und Eisai entwickelte Antikörper Lecanemab fängt im Gehirn der Patienten das Beta-Amyloid-Protein ein, welches sich dort in Form sogenannter Plaques ablagert. Diese Plaques sind ein maßgebliches Kennzeichen von Alzheimer und gelten als Mitursache der Erkrankung.

    Wie wurde die Studie durchgeführt?

    An der Studie nahmen 1.795 Patienten im Frühstadium von Alzheimer teil. Eine Hälfte bekam im Abstand von zwei Wochen den Antikörper Lecanemab, die andere ein Placebo. Das Mittel wird in die Vene gespritzt. Die Untersuchung wurde an 235 Zentren in Nordamerika, Europa und Asien durchgeführt.
    Die Forschenden prüften in regelmäßigen Abständen den Verlauf der Erkrankung und testeten etwa die Gedächtnisleistung, das Orientierungsvermögen und die Problemlösekompetenz der Patienten.

    Was sind die Ergebnisse der Studie?

    Bei den Patienten, die den Antikörper bekommen hatten, verlangsamte sich der Abbau der geistigen Fähigkeiten um durchschnittlich 27 Prozent: Sie schnitten also bei den Tests nach 18 Monaten besser ab als die Probanden der Kontrollgruppe. Das Mittel bremste zudem den Rückgang bei Alltagsaktivitäten um 37 Prozent. Aber: Auch bei den mit Lecanemab behandelten Menschen war die Krankheit vorangeschritten.
    Laut Eisai war nach 18 Monaten bei 68 Prozent der mit Lecanemab behandelten Studienteilnehmer das Amyloid-Protein beseitigt. Das Medikament senkte auch die Konzentration von Tau-Protein, das zum Absterben der Nervenzellen beiträgt.

    Wie sicher ist das Antikörper-Präparat?

    Aus den Studiendaten geht hervor, dass eine die Behandlung mit dem Antikörper für bestimmte Patienten mit Nebenwirkungen verbunden sein kann. Bei fast 13 Prozent der Patienten wurde Lecanemab mit einer gefährlichen Art von Gehirnschwellung in Verbindung gebracht. Bei einigen Studienteilnehmern traten auch Hirnblutungen auf. Todesfälle seien als Folge der Behandlung nicht aufgetreten, schreiben die Forscher.
    Vor kurzem erschien jedoch im Fachmagazin "Science" ein Beitrag über einen Todesfall im Zusammenhang mit der Therapie, insgesamt sei es der zweite. Bei den beiden Fällen handelte es sich um eine 65-jährige Frau, die nach einem Schlaganfall ein Medikament zur Auflösung von Blutgerinnseln erhielt, sowie um einen 87-Jährigen, der einen Blutverdünner einnahm. "Derzeit würde ich zögern, dieses Medikament jemandem zu geben, der Blutverdünner nimmt", sagte der Neurowissenschaftler Howard Fillit von der Alzheimer's Drug Discovery Foundation.

    Wie bewerten Forscher die Studienergebnisse?

    Forscher, die nicht an der Studie beteiligt waren, beurteilen die Ergebnisse positiv. Sogar von einem "historischen Meilenstein in der Alzheimer-Forschung", spricht der deutsche Alzheimer-Forscher Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Mit dieser Studie sei erstmals überzeugend gezeigt worden, dass sich mit einer Behandlung, die an einer der Ursachen der Erkrankung ansetzt, eine Verzögerung des klinischen Fortschreitens erreichen lasse.
    Zurückhaltender äußert sich Linda Thienpont von der Alzheimer Forschung Initiative: "Die Ergebnisse stimmen vorsichtig optimistisch." Lecanemab greife in die Mechanismen der Krankheit ein und verzögere den Verlauf. "Das hat bisher noch kein Wirkstoff geschafft."
    Die Verbesserung der Kognition sei allerdings nur sehr moderat, gibt die Forscherin zu bedenken. Es sei fraglich, wie stark dieser Effekt für Betroffene im Alltag spürbar sei. Menschen mit fortgeschrittenem Krankheitsverlauf würden zudem von der Antikörper-Behandlung nicht profitieren.

    Wie sieht es mit der Zulassung des Medikaments aus?

    Biogen und Eisai wollen schon in Kürze eine Zulassung in den USA für Lecanemab beantragen. Die US-Arzneimittelbehörde FDA wird voraussichtlich bis zum 6. Januar entscheiden, ob das Mittel im Rahmen ihres beschleunigten Prüfprogramms zugelassen wird. Auch in Japan und Europa ist ein Antrag auf Marktzulassung bis Ende März 2023 geplant.
    Alzheimer-Expertin Linda Thienpont betont - auch mit Blick auf die beiden berichteten Todesfälle -, dass genau abgewogen werden müsse, ob Nutzen und Risiken in einem vertretbaren Verhältnis stehen.
    Quelle: dpa, Reuters, ZDF