Aktuell melden sich deutlich mehr Erwerbstätige krank als in der Corona- und Vor-Corona-Zeit. Ein Hauptgrund dafür sind Atemwegsinfekte. Warum sie gerade jetzt so stark grassieren.
Halsschmerzen, Husten, Schnupfen: Herbst bedeutet Erkältungszeit. Und die ist in diesem Jahr nicht nur gefühlt früher gestartet als sonst: Deutschlandweit berichten Krankenkassen, dass der Krankenstand unter Beschäftigten in den vergangenen Wochen höher war als sonst. Der Hauptgrund: ein ungewöhnlich hohes Niveau der normalen Atemwegserkrankungen.
Warum sind aktuell mehr Menschen wegen Atemwegsinfekten krankgeschrieben als in den Vorjahren? Was hat das Ende der Maskenpflicht damit zu tun? Und wie bewerten Ärzt*innen die Lage? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Untersuchungen müssen abgesagt, Operationen verschoben werden - in vielen Kliniken ist derzeit nur eingeschränkter Betrieb möglich. Das liegt auch an steigenden Corona-Fallzahlen.
Was berichten die gesetzlichen Krankenkassen?
ZDFheute hat mehrere gesetzliche Krankenkassen angefragt. Das Ergebnis: Im dritten Quartal 2022 - also von Juli bis September - liegt der Krankenstand bei versicherten Erwerbstätigen höher als in den Corona- und Vor-Corona-Jahren. "Es zeigt sich, dass der Krankenstand der bei der TK versicherten Erwerbstätigen im dritten Quartal 2022 im Verhältnis zu den Vorjahren schon jetzt außergewöhnlich hoch ist", schreibt die Techniker Krankenkasse auf Anfrage.
Die Kaufmännische Krankenkasse KKH schreibt mit Blick auf das laufende Jahr: "Nie war die Zahl der Krankschreibungen seit Beginn der KKH-Erhebung im Jahr 2015 auch nur annähernd so hoch." Sie hat für ZDFheute die Daten aus dem September und der ersten Oktober-Hälfte im Vergleich zu den Vorjahren ausgewertet.
Als Grund für den Anstieg sehen KKH und TK in erster Linie normale Atemwegerkrankungen - und nicht explizit das Coronavirus.
Auch AOK, DAK, IKK und die Barmer berichten von gestiegenen Krankmeldungen in den vergangenen Monaten sowie im gesamten Jahr 2022 infolge von Atemwegsinfekten. Laut AOK hätten sich im laufenden Jahr die Fehltage wegen Atemwegserkrankungen im Vergleich zum Vorjahr fast verdreifacht. Und die IKK wagt folgende Prognose:
Wie ist die Lage in den Praxen?
Hausarztpraxen können die Berichte der Krankenkassen bestätigen.
"Aktuell suchen vermehrt Patientinnen und Patienten unsere Praxen aufgrund von Atemwegserkrankungen auf", erklärt Markus Beier, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes. Auch erste Grippefälle seien in diesem Jahr sehr früh aufgetreten.
Das bedeutet: Die Personaldecke in den Betrieben wird insgesamt dünner - unter anderem in Kliniken. "Auch bei uns im Krankenhaus merken wir aktuell, dass Beschäftigte zunehmend mit Atemwegsbeschwerden ausfallen", erklärt Stefan Kluge, Pneumologe und Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Warum melden sich so viele wegen Atemwegsinfekten krank?
"Die größtenteils aufgehobene Maskenpflicht, wieder mehr Begegnungen auf engerem Raum bei der Arbeit und bei Veranstaltungen haben das Infektionsgeschehen im ersten Halbjahr 2022 wieder in Gang gesetzt", erklärt die KKH.
Das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes war effektiv im Kampf gegen Corona und sorgte in den vergangenen Jahren gleichzeitig dafür, dass unser Immunsystem weitgehend auch von Erkältungs-Viren verschont blieb - daher ist manch einer seit Ende der Maskenpflicht für diese Erreger besonders anfällig.
Angesichts des anstehenden Coronawinters beraten sich die Gesundheitsminister der Länder über Vorkehrungen. Diskutiert wird z.B. über eine mögliche Verschärfung der Maskenregeln.
"Durch die im Rahmen der Corona-Pandemie notwendigen Kontaktbeschränkungen fehlt unserem Immunsystem das natürliche Training, dass es braucht, um eine Immunität aufbauen zu können", erklärt Markus Rose, Experte für Kinder-Pneumolgie am Klinikum Stuttgart. Denn durch leichte Infekte, die man zum Teil nicht einmal bemerkt, bauen wir eine Immunität gegen saisonale Erreger auf. "Diese Infektionen fanden durch Lockdowns und Maskenpflicht weniger statt, daher werden diese Infekte jetzt nachgeholt", sagt sein Kollege Stefan Kluge.
Doch auch andere Gründe könnten eine Rolle spielen - etwa dass Menschen sich seit der Corona-Pandemie bei Atemwegsinfekten eher krankschreiben lassen als früher. "Seit der Pandemie scheint das Bewusstsein vieler dafür gestiegen zu sein, wieder mehr auf seinen Körper zu hören, Erkrankungen auszukurieren und andere vor Ansteckung zu schützen", erklärt Markus Beier.
- Was bei einer Erkältung hilft
Erkältungen und andere Atemwegsinfekte sind laut RKI derzeit stärker verbreitet als vor der Corona-Pandemie. Was hilft am besten gegen eine Erkältung? Ein Experte gibt Tipps.
Mitarbeit: Beate Seck