Ukraine-Flüchtlinge treffen in Europa auf enorme Hilfsbereitschaft. Als 2015 Flüchtende aus dem Nahen und Fernen Osten kamen, schien das anders. Misst die EU mit zweierlei Maß?
Vor sieben Jahren floh Mohamad Alkhalaf vor Krieg, Gewalt und dem IS in seiner Heimat Syrien. 2015 kam er im bayerischen Kirchseeon an - gemeinsam mit anderen geflüchteten jungen Männern aus arabischen und afrikanischen Ländern.
Hier kümmert er sich heute um geflüchtete Ukrainer*innen. "Sie haben es heute leichter als wir damals," sagt Alkhalaf, "vermutlich, weil sie weniger fremd sind."
Mohmad Alkhalaf hilft in einer Aufnahmestelle für ukrainische Geflüchtete. Vor sieben Jahren kam der Syrer selbst als Geflüchteter dort an.
Hilfsbereitschaft für Geflüchtete heute größer als 2015
Die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Kriegsflüchtlingen sei größer als vor sieben Jahren, stellt Landrat Robert Niedergesäß (CSU) fest. In seinem Landkreis Ebersberg seien derzeit etwa 1.500 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen worden, fast alle seien privat untergebracht:
Auch EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die in der Vergangenheit die Aufnahme von Flüchtlingen rigoros ablehnten, zeigen sich aktuell solidarisch.
Migrationsforscherin: Wahrnehmung von Ukrainern als "Kollegen und Nachbarn"
Das sei zum einen darin zu begründen, dass der Ukraine-Krieg geographisch und kulturell näher liege, zum anderen würden bereits viele Ukrainer*innen in EU-Mitgliedstaaten, wie Deutschland, Polen, Italien oder Spanien leben, so die Migrationsforscherin Petra Bendel von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Das beeinflusse die Wahrnehmung, dass Ukrainer*innen eher als 'Kollegen und Nachbarn' wahrgenommen würden, so Bendel.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Carola Richter von der Freien Universtiät Berlin erklärt die besonders ausgeprägte Hilfsbereitschaft damit, dass in Hinblick auf die Menschen aus der Ukraine die Rechtmäßigkeit der Flucht kaum angezweifelt werde, während man 2015 Unterschiede gemacht habe zwischen Asylberechtigten und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen.
Erstmals EU-Richtlinie für unbürokratische Flüchtlingshilfe in Kraft
Auch politisch wird vieles, was 2015 für Geflüchtete nicht möglich schien, jetzt kurzerhand umgesetzt. Für Ukrainer*innen mit gültigem Pass sind öffentliche Verkehrsmittel vielerorts kostenlos. Sie müssen im Gegensatz zu Geflüchteten aus Syrien, dem Jemen, Irak und Afghanistan keinen Asylantrag stellen, dürfen in privaten Unterkünften leben und haben keine Wohnsitzauflage, die sie zwingt, an einem Ort zu bleiben.
Das ermöglicht die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die die EU-Staaten einstimmig in Kraft gesetzt haben. Sie bietet Millionen von ukrainischen Flüchtlingen bis zu drei Jahren unbürokratischen Schutz, Arbeitserlaubnisse, sofortigen Zugang zu Sprachkursen und soziale Absicherung auf dem höheren Hartz-IV-Niveau im Gegensatz zu den niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Menschenrechtsorganisationen: EU misst mit zweierlei Maß
Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid kritisiert die Doppelstandards der europäischen Asylpolitik:
Amjahid fordert die 'europäische Wertegemeinschaft' auf, ihren Rassismus zu überwinden.
Auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die EU gegenüber Flüchtlingen mit zweierlei Maß messe.
Nicht nur an Polens Ostgrenze, auch im Süden Italiens hält der Einwanderungsdruck auf die EU an. Trotz Kälte und Stürmen wagen sich weiterhin Flüchtlinge in untauglichen Booten von Afrika aus aufs Meer und riskieren ihr Leben.
Pro Asyl beklagt menschunwürdige Zustände in griechischen Flüchtlingslagern
Völlig aus dem Fokus geraten sei, dass die EU seit 2015 ihre Außengrenzen aufrüste, Schutzsuchende auf dem Mittelmeer durch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex zurückdränge oder im griechischen Lager Moria unter menschenunwürdigen Bedingungen campieren ließe, so Pro Asyl. Auch die Evakuierung von Mitarbeitern der Deutschen aus Afghanistan sei ins Stocken geraten.
"Unsere Solidarität ist unteilbar. Sie darf nicht nur einzelnen Gruppen gelten. Sie muss allen Menschen, die vor Krieg, Folter und Verfolgung fliehen, zuteilwerden. Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben!", so der Appell von Pro Asyl.
Jutta Sonnewald ist Reporterin im ZDF-Studio Bayern.