In Großbritannien streiken zehntausende Bahnbeschäftigte für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Premierminister Johnson verurteilt den Streik.
In Großbritannien hat am Dienstag der größte Bahnstreik seit 30 Jahren begonnen. Im Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen sowie gegen Stellenabbau wurden am Morgen die ersten Streikposten bezogen. Mehr als 40.000 Eisenbahner dürften sich an dem Ausstand beteiligen.
Viele Bahnhöfe waren am Dienstagmorgen fast verwaist, da nur rund ein Fünftel der Züge fahren sollte, wie die Nachrichtenagentur PA meldete. Die Londoner U-Bahn war wegen eines separaten Streiks ebenfalls überwiegend außer Betrieb.
Briten leiden unter steigenden Preisen
Die Eisenbahner wollen auch am Donnerstag und Freitag streiken. Der Ausstand ist nach Ansicht der Gewerkschaften nur der Auftakt für einen möglichen "Sommer der Unzufriedenheit", in dem auch Lehrer, Mediziner und Anwälte in den Arbeitskampf treten werden. Viele Briten leiden unter steigenden Preisen für Lebensmittel und Kraftstoff.
Der Gewerkschafter John Leach betonte im Interview mit dem Sender TalkTV:
Natürlich bedauere man die Störungen und Unannehmlichkeiten für die Passagiere.
Johnson kritisiert Streik scharf
Auch Andrew Haines, der Chef des Zugbetreibers Network Rail, entschuldigte sich im BBC-Interview bei den Zehntausenden Fahrgästen, die in dieser Woche auf andere Verkehrsmittel ausweichen müssen. Neben den Verbindungen von Network Rail fallen auch die Züge von rund einem Dutzend anderer Zugbetreiber aus.
Premierminister Boris Johnson warf den Gewerkschaften vor, gerade jenen zu schaden, denen sie helfen wollen. "Mit diesen Streiks vertreiben sie Pendler, die letztlich die Jobs der Eisenbahner sichern." Die Folgen des Ausstands würden Unternehmen und Gemeinden im ganzen Land zu spüren bekommen.
Regierung plant Gesetzesänderung
Verkehrsminister Grant Shapps kündigte eine Gesetzesänderung an, die Bahnbetreiber zu einer Minimal-Versorgung an Streiktagen verpflichtet und die Vertretung von streikendem Personal durch Ersatzkräfte erlaubt. "Wir werden dafür sorgen, dass solche Dinge in Zukunft weniger Schaden anrichten", sagte Shapps dem Sender Sky News.
Die britische Wirtschaft hatte sich zunächst gut von der Corona-Pandemie erholt. Eine Kombination aus Arbeitskräftemangel, gestörten Lieferketten, Inflation und Handelsstreitigkeiten nach dem Brexit kann Experten zufolge aber zu einer Rezession führen. Die britische Inflationsrate erreichte im April ein 40-Jahres-Hoch von neun Prozent. Erwartet wird, dass im weiteren Jahresverlauf die Marke von zehn Prozent übertroffen werden dürfte.
Der aktuelle Arbeitskampf hat Vergleiche mit den 1970er Jahren aufgeworfen. Damals gab es in Großbritannien eine Serie von Streiks, die schließlich in den "Winter der Unzufriedenheit" 1978/79 mündete. Die jetztigen Streiks finden zu einer Zeit statt, in der Reisende auf britischen Flughäfen aufgrund von Personalmangel Verspätungen und Annullierungen in letzter Minute hinnehmen müssen. Zudem müssen viele Briten aufgrund von Verzögerungen bei der Bearbeitung monatelang auf neue Pässe warten.