Libanon: Wie Sparer zu Bankräubern werden

    Wirtschaftskrise im Libanon:Vom Ex-Polizisten zum Bankräuber

    von Stella Männer, Beirut
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    Der Libanon steckt in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen seiner Geschichte. Banken geben nur noch kleinere Beträge Geld an ihre Kunden. Einige greifen zu drastischen Mitteln.

    Eine Bankfiliale im Beiruter Stadtteil Hamra. Die Wut der Libanes*innen zeigt sich auch im Vandalismus an den Automaten.
    Eine Bankfiliale im Beiruter Stadtteil Hamra. Die Wut der Libanes*innen zeigt sich auch im Vandalismus an den Automaten.
    Quelle: Stella Männer

    "Glaubt mir, ich bin bereit, dass Feuerzeug zu zünden", schreit Ali Sahili und hebt drohend den Molotov Cocktail in seiner linken Hand. In der rechten hält er eine Pistole. Die Bankangestellten der Filiale im Beiruter Stadtteil Hazmieh zählen hektisch mehrere Bündel Geld. 60.000 US-Dollar fordert Sahili und 130.000 seine zwei Verbündeten an diesem Morgen im November - es ist das Geld von ihren eigenen Konten.
    Dass Kund*innen Banken überfallen, um an ihr eigenes Geld zu kommen, passiert im Libanon in den letzten Monaten regelmäßig. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht ein Kunde oder eine Kundin eine Bank stürmt. Manche verleihen ihrer Forderung Nachdruck, indem sie Benzin verschütten oder zur Waffe greifen, andere nutzen friedliche Mittel und ketten sich mit Handschellen in den Filialen fest. Videos der Überfälle werden tausendfach in den sozialen Medien geteilt. Die Bankräuber*innen werden als Held*innen gefeiert, denn sie wehren sich gegen den bankrotten Staat.

    Eine der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrisen der Geschichte des Libanon

    Seit 2019 steckt der Libanon in einer der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrisen der Geschichte. Die Währung, das libanesische Pfund, hat über 90 Prozent ihres Wertes verloren, die Inflation lag zuletzt bei knapp 160 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Für Libanes*innen bedeutet das im Alltag neben Stromausfällen und täglich steigenden Lebensmittelpreisen auch, dass sie keinen Zugriff mehr auf ihr Erspartes haben. Denn die Banken haben das Geld nicht mehr. Jahre lang kreierten sie ein sogenanntes Ponzi-Schema, eine Blase, die 2019 platzte.
    Seitdem erlauben die Banken den Bürger*innen nur noch kleine Beträge im Monat abzuheben. Das Geld von Dollar-Konten wird außerdem zu einem alten Wechselkurs in libanesischen Pfund ausgezahlt. De facto bekommen die Menschen also nur einen Bruchteil des Dollarwertes ihres Geldes ausbezahlt. Wer eine größere Summe Geld braucht, um einen Krankenhausaufenthalt oder eine Reparatur zu bezahlen, steht vor einem Problem.

    Lebensleistung vieler Sparer ist verschwunden

    So war es auch bei Ali Sahili. 29 Jahre lang arbeitete er als Polizist für den Staat, rund 95.000 Dollar legte er laut eigener Aussage in dieser Zeit zur Seite. Als im letzten Jahr die Studiengebühren für seinen Sohn fällig waren, half ihm das jedoch nicht. Da Sahili den Betrag nicht abheben konnte, drohte seinem Sohn im vierten Studienjahr die Exmatrikulation. "Ich habe mein Leben lang gearbeitet, um meinen Kindern eine gute Ausbildung zu finanzieren", erzählt der 58-Jährige. Keinen Zugriff mehr auf sein Geld zu haben, wieder bei seinen Eltern zu wohnen und zu dritt die kleine Rente zu teilen, sei eine einzige Enttäuschung.

    Würde ich nicht an Gott glauben, ich würde mich umbringen.

    Ali Sahili, "Bankräuber"

    Über Facebook fand Sahili damals eine Möglichkeit, doch noch an Bargeld zu kommen: Ein Mann zahlte ihm 7.000 Dollar für seine Niere. Kurz vor der Operation bekam Sahilis Sohn mit, woher das Geld stammte und brachte seinen Vater von dem Plan ab. Als im Herbst diesen Jahres die ersten Menschen Banken überfielen, sah Sahili eine neue Möglichkeit an sein Geld zu kommen.
    Ali Sahili bei einem Treffen der Depositors Outcry Association im Dezember.
    Ali Sahili bei einem Treffen der Depositors Outcry Association im Dezember.
    Quelle: Stella Männer

    Banküberfälle sollen Druck auf den Staat machen

    Der Banküberfall in Hazmieh war aber mehr als sein individueller Versuch an Geld zu kommen. Die Aktion plante er gemeinsam mit der Depositors Outcry Association, einer Vereinigung von Bankanleger*innen. Die Gruppe gründete sich kurz nach dem Beginn der Krise. Mit den koordinierten Überfällen hoffen sie den Druck auf die Politik zu erhöhen, endlich eine Lösung zu finden. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge leben mittlerweile Dreiviertel der Bevölkerung in Armut.
    Ali Sahili ist aktives Mitglied der Gruppe. Der Überfall in Hazmieh war bereits der Zweite, den er mit den Aktivist*innen unternahm. "Ich bin stolz darauf, mein Recht eingefordert zu haben", erklärt er - und:

    Ich bin bereit es auch ein weiteres Mal zu tun.

    Ali Sahili, "Bankräuber"

    Und gab es eine Strafe? Ali, seine Verbündete und sein Anwalt wurden nach dem Überfall für eine Woche festgenommen und gingen in den Hungerstreik. Dann kamen sie frei und haben keine weitere Strafe bekommen. 

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