Einen Tag nach den Ausschreitungen sehen sich viele Libanesen in ihrem Wunsch auszuwandern bestätigt. Doch es gibt auch jene, die für eine friedliche Zukunft kämpfen wollen.
Alya Karame knotet den schwarzen Hundebeutel zu und wirft ihn in einen Mülleimer. Dann setzen sich ihr Hund Bendouk und sie wieder in Bewegung. Wie jeden Morgen gegen neun Uhr laufen sie die Badaro Street entlang. Karames' weite, sonnengelbe Hose schwingt im Takt der Schritte um ihre Beine.
Es ist ein Stück Normalität an diesem Morgen. Einen Tag nach den gewaltsamen Unruhen in Beirut. Ein Protest von Anhängern der Hisbollah und der Amal Bewegung eskalierte in einem Feuergefecht. Menschen starben, mehr als 30 wurden verletzt.
Gefechte erschüttern die Bevölkerung
Nur wenige hundert Meter trennen Alya Karames' Route von dem Justizpalast, vor dem die Schüsse starteten. Die meisten der Cafés haben geschlossen, die libanesische Armee hat Straßensperren errichtet, nur wenige Menschen sind draußen unterwegs.
"Der Vorfall hat die Menschen tief erschüttert", erklärt die 42-Jährige. Sie selbst sei vor allem müde.
Karame: Gewalt wird in den nächsten Monaten zunehmen
Als das Feuergefecht startete, saß die Historikerin an ihrem Schreibtisch. Sobald sie die Schüsse hörte, rannte sie in den Flur. Weit weg von den Fenstern ist man am sichersten vor Kugeln - das lernt man im Libanon früh, erzählt sie.
Die 42-Jährige rechnet damit, dass die Gewalt in den nächsten Monaten zunehmen wird.
- Tote und viele Verletzte im Libanon
Bei Protesten gegen den Richter im Fall um die Explosion im Beiruter Hafen ist es zu schweren Ausschreitungen gekommen. Dabei wurden mindestens sechs Menschen getötet.
Studierende engagieren sich für Trennung von Politik und Religion
Aya Kassem hingegen will bleiben. Die 20-jährige Studentin sitzt an diesem Morgen in einem Café im muslimisch geprägten Westen Beiruts. Sie glaube daran, dass sich die politischen Strukturen in ihrem Land noch verändern lassen.
Vor drei Jahren ist sie deshalb dem Secular Club der American Lebanese University beigetreten. Seit diesem Mai ist sie die stellvertretende Vorsitzende. Die Studierendenvereinigung setzt sich für die Trennung von Religion und Politik ein.
Während des Feuergefechts war Kassem auf dem Universitätscampus. Ausgerechnet an diesem Tag fanden die Universitätswahlen statt, bei denen der Secular Club antrat.
Gemeinsam mit Freundinnen verfolgte sie die Nachrichten. "Die Bilder waren angsteinflößend und haben mich sehr an das erinnert, was meine Eltern mir über den Bürgerkrieg erzählen", berichtet die 20-Jährige.
Libanon wählt 2022 neues Parlament
"Sie spalten die Bevölkerung, halten alte Konfliktlinien aufrecht und ermöglichen Klientelpolitik", sagt sie. Viele Libanesen würden ihre Wahlentscheidung allein aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit treffen, fährt sie fort. So sähen sich die etablierten Parteien nicht gezwungen, eine politische Agenda zu formulieren.
Im nächsten Jahr wählen die Libanesen ein neues Parlament. Bei den Universitätswahlen konnte der Secular Club viele Stimmen gewinnen. Bei den Parlamentswahlen wollen sie als landesweite Partei antreten. Dann wird sich zeigen, ob die Studierenden auch die älteren Generationen von ihren politischen Ideen überzeugen können.