Berlin: Könnten Klima-Aktivisten juristisch belangt werden?

    FAQ

    Tod einer Radfahrerin in Berlin:Könnten Aktivisten juristisch belangt werden?

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    Klima-Aktivisten werden dafür verantwortlich gemacht, die Rettung einer verunglückten Radfahrerin behindert zu haben. Nun stellen sich Fragen - auch juristische.

    Selten hat ein Fahrradunglück so hohe Wellen geschlagen, wie ein aktueller Fall aus Berlin: Am Montag wurde eine Radfahrerin in der Hauptstadt von einem Betonmischer überrollt - am Freitag ist sie gestorben.
    Anschuldigungen werden laut, dass die Bewegung "Letzte Generation", die gegen den menschengemachten Klimawandel protestiert, eine Mitschuld trage. Denn ihr Autobahn-Protest soll Rettungskräfte behindert haben. Doch es bleiben Fragen. Etwa nach dem Kausalzusammenhang zwischen Protest und Tod der Frau. Oder danach, ob die Klima-Aktivisten tatsächlich juristisch belangt werden können.

    Was ist passiert?

    Bei dem Verkehrsunfall wurde eine 44-jährige Radfahrerin am Montag in Berlin von einem Betonmischer erfasst und überrollt. Ein Spezialfahrzeug kam laut Feuerwehr verspätet zum Unfallort, weil es wegen der Blockade zweier Aktivisten lange im Stau gestanden hatte. Die 59 und 63 Jahre alten Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" sollen sich am Montag an eine sogenannte Schilderbrücke auf der Stadtautobahn 100 festgeklebt und damit den Verkehr verzögert haben. Gegen beide Personen wurde Strafanzeige gestellt.
    Allerdings räumte ein Feuerwehrsprecher ein, auch die Bildung einer Rettungsgasse sei angesichts der Größe des Fahrzeugs problematisch gewesen.

    Wir lassen immer ausnahmslos eine Rettungsgasse.

    Aimée von Baalen, Sprecherin "Letzte Generation"

    Seit Freitag wachsen nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" die Zweifel, dass die Proteste Einfluss auf die Notfallversorgung der verunglückten Frau hatten. Einem Vermerk der Feuerwehr zufolge soll die Notärztin ohnehin entschieden haben, dass der Betonmischer nicht mit einem Spezialfahrzeug angehoben werden sollte. Dieses Spezialfahrzeug steckte wegen des Protests im Stau. Nach Informationen der Zeitung soll die Notärztin also durch den Stau nicht behindert worden sein und das Unfallopfer versorgt haben.
    Die Berliner Feuerwehr wollte sich zu dem Bericht nicht äußern. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Existenz des Vermerks auf Anfrage am Freitag nicht.
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    Ist es die erste Verzögerung dieser Art in Berlin?

    Die Polizei habe wegen Blockaden von Aktivisten inzwischen mehr als 130.000 Einsatzstunden geleistet, erklärte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Dienstag. Mit Bezug auf den Rüstwagen der Feuerwehr vom Montag sagte sie: "Das gestrige Rettungsfahrzeug, das nicht durchgekommen ist, war nicht das erste, sondern es ist das 18. gewesen." Die Berliner Staatsanwaltschaft leitete der SPD-Politikerin zufolge bereits 729 Verfahren gegen Aktivisten ein und beantragte 241 Strafbefehle.

    Sind Stauverursacher im juristischen Sinne verantwortlich, wenn Rettungskräfte nicht helfen können? 

    Inwieweit die Klima-Aktivisten Schuld daran hätten, dass der Radfahrerin nicht schneller habe geholfen werden können, müssten nun Polizei und Gerichte bewerten, erklärte Franziska Giffey. Fest steht: Billigend in Kauf zu nehmen, dass Rettungskräfte behindert werden, ist strafbar. "Ob nun durch Parken in zweiter Reihe, durchs Gaffen oder eben durch eine Blockade", erklärt Sarah Tacke von der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

    Die Behinderung von Rettungskräften ist eine Straftat.

    Sarah Tacke, ZDF-Redaktion Recht und Justiz

    Juristisch sehr viel schwieriger zu beantworten sei die Frage, ob jemand, der eine Straße blockiert, am Ende auch wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung haftbar gemacht werden kann. "Da kommt es immer auf die Kausalität an, also ganz konkret in diesem Fall die Frage: Wäre die Radfahrerin noch am Leben, hätte es diese Blockade nicht geben?", erklärt Tacke.

    Nur wenn man das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Ja beantworten kann, nur dann kann man im Zweifel auch jemanden wegen fahrlässiger Tötung haftbar machen.

    Sarah Tacke, ZDF-Redaktion Recht und Justiz

    In den allermeisten Fällen sei aber dieser Beweis sehr schwer zu führen, sagt Tacke. "Und dann heißt es immer: Im Zweifel für den Angeklagten."
    Klima-Aktivisten sitzen in Berlin auf der Straße und blockieren eine Straße, um für ein Tempolimit zu demonstrieren.
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    Kann der Staat gegen diese Art von Protest vorgehen?

    "Der Staat hat das Strafgesetzbuch in der Hand, nicht weniger, aber auch nicht mehr", sagt Tacke.

    Wenn ein Bild beschädigt wird: strafbare Sachbeschädigung. Wenn eine Straße blockiert wird, ist es im Zweifel eine strafbare Nötigung.

    Sarah Tacke, ZDF-Redaktion Recht und Justiz

    Der Staat dürfe aber nicht, weil es politisch erwartet würde oder der öffentliche Druck groß sei, an Klima-Aktivisten ein Exempel statuieren. "In jedem Einzelfall muss die individuelle Schuld der Protestierenden beurteilt werden. Und man darf nicht sagen: Zur Abschreckung bestrafen wir sie jetzt besonders hart", so Tacke.

    Ist diese Art von Protest neu?

    Straßenblockaden provozieren dem Sozialphilosophen Robin Celikates von der FU Berlin zufolge zuletzt extrem viel Gegenwehr - bis hin zu "Skandalisierungsversuchen" von verschiedenen Medien und politischen Parteien. Dabei sei "die Straßenblockade an sich ein legitimes, historisch weit zurückreichendes und auch etabliertes Mittel des Protests in der Demokratie".

    Das sind alles noch Formen des Protests, die sich explizit und auch prinzipiell von der Gewalt gegen Menschen abgrenzen und darauf aus prinzipiellen Gründen verzichten.

    Prof. Robin Celikates, Sozialphilosoph FU Berlin

    In dieser Hinsicht sei der Protest der "Letzten Generation" seiner Ansicht nach nicht sehr radikal oder militant.    
    Quelle: ZDF, dpa, AFP

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