Sie wurde vergewaltigt, schwanger - und trieb ab. Sie ist zehn Jahre alt. Und weil das Mädchen abtrieb, ist sie in Brasilien zur Zielscheibe massiver Anfeindungen geworden.
Nach dem Fall eines zehnjährigen Vergewaltigungsopfers verschärft Brasilien das Abtreibungsrecht weiter. Besonders die Familienministerin setzt sich für ein Abtreibungsverbot ein.
Der Fall eines zehnjährigen Mädchens, das nach einer Vergewaltigung schwanger wurde, spaltet ganz Brasilien. Familienministerin Damares Alves, die auch evangelikale Pastorin und strikte Abtreibungsgegnerin ist, gab mit ihren Kommentaren in den sozialen Medien den Startschuss für eine regelrechte Hexenjagd auf das Kind. Sie bedauerte öffentlich, dass die Justiz dem Mädchen einen Schwangerschaftsabbruch zugestanden hatte. Sie beklagte den Tod des ungeborenen Lebens.
Proteste vor der Klinik - Mädchen unter Polizeischutz
Doch die Anführerin einer rechtsextremen Gruppe ging noch weiter. Alves veröffentlichte den Namen des Mädchens und nannte auch die Klinik. In der Folge versammelte sich am Sonntag eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem Krankenhaus in Recife im Nordosten des Landes. Die Zehnjährige und ihre Oma sowie der Klinikchef gelangen nur unter Polizeischutz in die Klinik. Ihnen wurden Rufe wie "Mörder" und "Kriminelle" entgegengeschrien.
Die aggressiven Szenen schockierten viele Brasilianerinnen und Brasilianer. Sie sahen das vergewaltigte Mädchen erneut zum Opfer gemacht, diesmal in einem ideologischen Streit.
Radikale Evangelikale wollen Gesetz abschaffen
In Brasilien gibt es seit 1940 ein Gesetz, das Frauen nach einer Vergewaltigung eine Abtreibung erlaubt. Das gilt auch, wenn das Leben der Mutter in Gefahr oder der Fötus nicht lebensfähig ist. Dafür muss eine richterliche Entscheidung eingeholt werden. Auf illegale Abtreibungen stehen bis zu drei Jahre Haft für die Frau und denjenigen, der die Schwangerschaft unterbrochen hat.
Radikale Evangelikale wollen das Gesetz abschaffen. Sie haben in Präsident Jair Bolsonaro und seiner Ministerin Alves die größten Unterstützer. Im Parlament sind sie eine der stärksten Gruppen und bestimmen die gesellschaftliche Debatte.
Auch der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in Brasilien, Walmor Oliveira de Azevedo, betonte, nichts rechtfertige einen Schwangerschaftsabbruch.
Experten: Kaum Schutz für Vergewaltigungsopfer
Der Fall berührt ein weiteres Tabuthema. Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist in Brasilien trauriger Alltag. Experten beklagen, dass Vergewaltigungsopfer kaum Schutz genießen - sie müssen oft eine Odyssee durch die Bürokratie durchleiden.
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So erging es auch dem zehnjährigen Mädchen, dessen Fall jetzt die Brasilianer aufwühlt. Sie lebt bei ihrer Großmutter in armen Verhältnissen und gab vor Gericht an, dass sie bereits seit dem sechsten Lebensjahr von einem Onkel vergewaltigt wurde.
Das Krankenhaus in ihrer Stadt São Mateus im Bundesstaat Espíritu Santo lehnte den Eingriff indes ab und überwies sie in das mehr als 1.800 Kilometer entfernte Recife. Jetzt muss sich das Krankenhaus für sein Vorgehen juristisch rechtfertigen.
Die katholische Kirche hat mehrfach Ärzte, die legale Abtreibungen vornahmen, und ihre Familien exkommuniziert.
Lateinamerika: Abtreibungen nur in fünf Ländern erlaubt
In Lateinamerika sind Schwangerschaftsabbrüche nur in fünf Ländern und Gebieten ohne Restriktionen zulässig: in Kuba, Uruguay, Guyana, Französisch-Guayana und Puerto Rico (USA). In Ländern wie El Salvador, Honduras, Nicaragua, Haiti und der Dominikanischen Republik steht dagegen jegliche Abtreibung unter Strafe und wird mit hohen Strafen geahndet. In den anderen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche nur unter strengen Auflagen erlaubt.