Zehn Menschen tötete ein 18-Jähriger in Buffalo und bezog sich zuvor auf die Lüge vom "Bevölkerungsaustausch". Diese wird von Pressestimmen in den USA befeuert.
Es ist ein düsteres Machwerk, das der Schütze von Buffalo kurz vor seiner Tat online gestellt hat - ein 180-seitiges Pamphlet des Hasses - und der Angst, die sich in fast jeder seiner Zeilen widerspiegelt.
Der 18-jährige Payton G. ist fest davon überzeugt, dass er "ausgetauscht" werden soll und mit ihm die gesamte "weiße Rasse". Es sei ein "ethnischer", "kultureller", "rassischer Austausch" im Gange, ein "weißer Genozid". Deshalb habe er sich für seinen Angriff den Tatort im Bezirk mit dem höchsten Anteil an Schwarzen ausgesucht.
"Austausch"-Theorie aus rechtsnationalistischen Kreisen in Frankreich
Deshalb hasse er Schwarze, Juden und alle, die nicht weiß sind. Und deshalb habe er getötet, um den "Austauschern zu zeigen, dass ihnen unser Land niemals gehören wird und sie niemals vor uns sicher sein werden, solange der Weiße Mann lebt".
Der Massenmord am Samstag in Buffalo erfüllt alle Kriterien des Terrorismus. Er ist rassistisch und politisch motiviert, und er folgt einer kruden Verschwörungstheorie von rechtsextremen Kommentatoren und Politikern in den USA, Europa und auch Deutschland - der Lüge vom angeblichen Bevölkerungsaustausch.
"Replacement", so nennen sie hier die Theorie, die eigentlich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in rechtsnationalistischen Kreisen in Frankreich entstand - aus Angst vor der Zuwanderung vor allem aus islamischen Ländern. Führende Politiker - so die Behauptung - würden die Zuwanderung fördern, um sich langfristig neue politische Mehrheiten zu sichern.
Auch Anders Breivik berief sich auf diese Lüge
Mit dieser Lüge rechtfertigte der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik 2011 die Ermordung von 77 Menschen. Breivik sah sich als Kreuzritter im Kampf gegen den Untergang des christlichen Abendlandes. Auf Breiviks 1.500-seitige Hass-Schrift berief sich auch der Attentäter von Christchurch, der im März 2019 in einer neuseeländischen Moschee 50 Muslime erschoss. Ein weiterer Gesinnungsgenosse ermordete wenige Monate später 23 Menschen mehrheitlich hispanischer Abstammung in einem Supermarkt in El Paso.
Die "Replacement"-Theorie richtet sich auch gegen Menschen jüdischen Glaubens, weil sie angeblich die Drahtzieher hinter dem geheimen Plan der Politiker sind. Entsprechend basieren die Terroranschläge 2018/19 auf die Synagogen in Pittsburgh, Poway und im deutschen Halle ebenfalls auf der Lüge vom Bevölkerungsaustausch, mit der Massenmord als "Notwehr" gerechtfertigt wird.
"Renaissance-Konferenz" in Tennessee - Orban als Held
Einen Blick in diesen gruseligen Abgrund konnte ich im April 2019 werfen. In einem Konferenzzentrum mitten im Wald von Tennessee, etwa eine Stunde Fahrtzeit von Nashville entfernt, trafen sich Rassisten, Nationalisten und Neonazis bei ihrer sogenannten "Renaissance-Konferenz". Wir durften sie nur von hinten filmen, denn sie fühlen sich verfolgt, sehen sich als Opfer, die sich mutig dem Untergang der "weißen Rasse" entgegenstemmen.
Der ungarische Premierminister Viktor Orban wurde in den Reden als Held gefeiert. Er kämpfe gegen das liberale Imperium EU, weil sonst Europa bald nicht mehr den Europäern gehöre. Europa sei Opfer einer Invasion, befeuert von liberalen Kräften.
In der Diskussion stand eine Frau aus dem Publikum auf, pries ihren Sohn für die Zucht weißer Babys an, um den angeblich geplanten Bevölkerungsaustausch - Zuwanderer gegen Weiße - zu stoppen. Der Organisator der Veranstaltung, Jared Taylor, sagte mir, man dürfe solche Ansichten in der Öffentlichkeit nicht verteufeln, dann gebe es auch weniger Gewalt. "Wenn Menschen nicht ihre legitime Sorge über den Austausch der Bevölkerung gegen Ausländer kundtun dürfen", so Taylor, "wenn sie dämonisiert werden, wenn sie in den Untergrund gedrängt werden, dann ist dies das perfekte Rezept für Gewalt."
Fox News als Heimat der "Replacement"-Lüge
In Zeiten des Umbruchs, der negativen Folgen der Globalisierung, der Digitalisierung, der Ängste um die eigene Zukunft und die ihrer Kinder breitet sich in den USA eine "Das Boot ist voll"-Mentalität aus, aufgestachelt durch alte, weiße Männer in der politischen Elite der Republikaner, finanziert von konservativen Milliardären, die offenbar um ihre Macht fürchten.
Die "Replacement"-Lüge hat hier vor allem eine mediale Heimat - den rechtskonservativen Nachrichtensender Fox News. Deren beliebtester Moderator, Tucker Carlson, tönt: "Ich weiß, dass die Linke und all die kleinen Aufpasser auf Twitter regelrecht hysterisch werden, wenn man den Begriff 'Austausch' (Replacement) benutzt, und dass die demokratische Partei versucht, das derzeitige Wahlvolk, also die Wähler, die ihre Stimmen abgeben, durch gehorsamere Wähler aus der dritten Welt zu ersetzen. Die werden hysterisch. Aber das ist genau das, was passiert, es ist wahr!"
Nach einer Analyse der "New York Times" erregte sich Carlson seit 2016 in mehr als 400 seiner alltäglichen Talkshows über den angeblichen Bevölkerungsaustausch; seine Kollegin Laura Ingraham sekundiert häufig mit Sätzen wie "die Demokraten wollen Euch, die amerikanischen Wähler ersetzen, (…) durch eine immer weiter wachsende Zahl von Ketten-Zuwanderern". Und die ehemalige Richterin Jeanine Pirro redet bei Fox News von einem "Plan, Amerika neu zu erschaffen, die amerikanischen Bürger durch Illegale zu ersetzen, die dann für die Demokraten stimmen".
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Auch Gauland und Höcke sprachen vom Bevölkerungsaustausch
In Deutschland befeuern führende Vertreter der AfD die Lüge vom Bevölkerungsaustausch. Alexander Gauland schrieb in einer Pressemeldung im April 2017: "Der Bevölkerungsaustausch in Deutschland läuft auf Hochtouren." Nach der Bundestagswahl im gleichen Jahr sagte er: "Wir werden sie jagen. Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen." Björn Höcke schrieb Mitte 2018 über den "Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch".
Es sind Überzeugungen, denen sich in den vergangenen Jahren die Anhänger von Pegida und AfD sowie einige rechtskonservative Publizisten verbunden fühlen. Die meisten von ihnen lehnen Gewalt als Mittel strikt ab, aber mit ihren kruden und falschen Thesen schaffen sie fruchtbaren Boden für feige Gewalttäter wie Anders Breivik und Payton G.. Um "revolutionäre Veränderung" herbeizuführen, wolle er eine "Atmosphäre der Angst" schaffen, so der Terrorist von Buffalo, bevor er dann wehrlose Menschen ermordete - aus Feigheit, aus Hass und aus Angst.