Restaurants, Cafés und Bars öffnen. Wieder unter Menschenmengen zu sein, kann Angst machen, weiß Psychologin Tkaczynska. Im Interview erklärt sie, wie man damit umgeht.
ZDFheute: Das erste Mal wieder im Biergarten sitzen, unter Menschen gehen - für viele fühlt sich das erstmal komisch an. Können Sie das nachvollziehen?
Zuzanna Tkaczynska: Es ist völlig normal, dass wir Angst haben. Seit einem Jahr mussten wir auf sehr viel verzichten und es hat sich eine neue Normalität eingeschlichen. Der Weg zurück kann mit Angst verbunden sein. Das, was wir spüren, ist eine ganz normale Reaktion auf ungewöhnliche Zustände. Unter solchen Umständen haben wir davor noch nie gelebt.
ZDFheute: Um Menschen zu helfen, mit der Pandemie besser klar zu kommen, haben Sie eine anonyme "Corona-Angst-Hotline" eingerichtet. Gab es auch Anrufe wegen der Angst vor Menschenmassen?
Tkaczynska: Es gab einige, die gesagt haben, komme ich überhaupt mit den vielen Menschen klar? Wir gehen davon aus, dass das Wissen, dass viele Menschen geimpft sind, irgendwas verändert hat. Aber das hat es natürlich nicht. Das Virus gibt es nach wie vor.
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ZDFheute: Also kann Angst auch etwas Gutes sein?
Tkaczynska: Die Angst, die man verspürt, ist sehr positiv. Die Angst hat die Funktion, uns zu schützen, am Leben zu erhalten. Ein Problem wird es nur, wenn wir die Angst nicht mehr kontrollieren können.
ZDFheute: Wann wäre das der Fall?
Tkaczynska: Wir fliehen oft vor unseren Ängsten oder spielen sie herunter mit "ich habe gar keine Lust darauf". Die gesunde Angst ist eine Reaktion auf eine potenzielle Gefahr. Eine problematische Angst ist die krankhafte Angst, eine übertriebene Reaktion auf Situationen, die nicht bedrohlich sind. Einkaufen an sich ist zum Beispiel nicht gefährlich. Gefährlich wird es nur, wenn ich jemanden treffe, der an Corona erkrankt ist. Und deswegen generalisiert man.
ZDFheute: Haben unsere Bedenken nur gesundheitliche Gründe?
Tkaczynska: Nein, da spielen auch Gewöhnungseffekte eine Rolle. Im letzten Jahr mussten wir uns zurücknehmen, wir mussten auf soziale Kontakte verzichten. Ein sozialer Rückzug führt aber dazu, dass sich so eine antizipatorische Angst, eine Erwartungsangst, entwickelt. Wie wird das sein, wenn ich rauskomme? Ich glaube, dass diese Bedenken sehr schnell behoben sind, wenn man ein, zwei Mal nach draußen gegangen ist, das erste Mal geflogen ist oder die Bahn genommen hat.
ZDFheute: Wie gewöhne ich mich wieder an Menschenmengen?
Tkaczynska: Das Wichtigste ist ein selbstwertschätzender Umgang.
Ganz wichtig ist es, im Austausch zu bleiben und mit Freunden oder der Familie darüber zu sprechen. Und dann kann man sich dem schrittweise annähern, aber man sollte konsequent bleiben. Wenn ich mir sage, dass es okay ist, nie wieder in den Supermarkt zu gehen oder unter Menschen zu gehen, dann muss ich mich fragen - ist das wirklich okay oder vermeide ich gerade?
ZDFheute: Macht es einen Unterschied, ob ich eher ein extrovertierter oder eher ein introvertierter Mensch bin?
Tkaczynska: Extrovertierte Menschen sind genauso oft betroffen von Ängsten wie introvertierte Menschen. Was ich mir vorstellen kann, ist, dass Menschen, die Dinge gerne mit sich selber aushandeln, länger brauchen werden, sich an Menschenmengen zu gewöhnen.
ZDFheute: Circa 50 Prozent der Menschen in Deutschland wollen auch nach der Pandemie weiter Maske tragen. Wie sehen Sie das?
Tkaczynska: Andere Menschen nicht anstecken zu wollen, ist völlig okay und gut. Die Frage, die sich dahinter verbirgt, ist, wie sehr schränke ich mich ein? Treffe ich mich nicht mehr mit meinen Freunden, verzichte ich auf meine Bedürfnisse? Oder trage ich eine Maske, weil es eine gut überlegte Entscheidung ist?
Das Interview führte ZDFheute-Redakteurin Katharina Schuster.
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