Einige Bundesländer geben Astrazeneca für alle Altersklassen frei. Das Hin und Her um den Impfstoff macht es für viele Menschen jedoch schwer, das Risiko abzuschätzen.
Noch vor einigen Wochen hatten nur die wenigsten Menschen jemals von Sinus- und Hirnvenenthrombosen gehört. Schließlich kommen solche Probleme äußerst selten vor. Dann traten Fälle dieser Hirnthrombosen nach Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca auf - mehr als statistisch zu erwarten waren.
Mehrere Behörden, darunter die europäische Arzneimittelbehörde EMA, nahmen die Fälle unter die Lupe. Ergebnis: Der Nutzen der Impfung überwiege eindeutig das Risiko. "Der Impfstoff rettet Leben", bilanziert der leitende EMA-Datenanalytiker Peter Arlett.
Virologin Ciesek: Impfrisiko wird überschätzt
"Durch diese ganzen Medienberichte und die Aufmerksamkeit auf dieses Thema wird das eigene Risiko, an einer Thrombose zu erkranken, eigentlich überschätzt", sagte die Virologin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt im NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update". Es sei ganz klar, "dass der Impfstoff bei weitem sicherer ist als das Risiko einer Covid-19-Infektion".
Eine weitere Erklärung nennt Petra Dickmann, Expertin für Risikokommunikation: "Menschen sind keine rationalen Wesen." Eine Wahrscheinlichkeit beziehe sich auf eine Gesamtpopulation, "aber es werden individuelle Entscheidungen getroffen: Was mache ich für mich?".
Hirnvenenthrombosen nach Impfung mit Astrazeneca
Das sagen die Zahlen: In Deutschland wurden bis Mitte April 59 Fälle von Hirnthrombosen nach mehr als 4,2 Millionen Erstimpfungen mit Astrazeneca gemeldet, darunter 12 Todesfälle. Werden solche Thrombosen frühzeitig diagnostiziert und behandelt, stehen die Chancen relativ gut, wieder vollständig zu genesen.
Hirnvenenthrombosen kämen im Schnitt bei etwa einer von 100.000 geimpften Personen vor, geht aus der am Freitag vorgelegten Analyse der EMA-Experten zum Astrazeneca-Präparat hervor.
Forscher der Universität Cambridge berechnen Risiko
Am detailliertesten berechnen Forscher der Universität Cambridge anhand britischer Daten die Vorteile und Risiken der Impfung.
Ihre Resultate: Für 60- bis 69-Jährige in einem britischen Hochrisikogebiet liegt das Risiko, binnen 16 Wochen mit Covid-19 auf eine Intensivstation zu müssen, demnach mehr als 600 Mal höher als das Risiko einer Hirnvenenthrombose nach einer Impfung mit Astrazeneca.
Selbst in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen ist demnach die statistische Wahrscheinlichkeit, bei für Großbritannien mittelhohen Fallzahlen (7-Tage-Inzidenz von 420) binnen 16 Wochen mit Covid-19 auf einer Intensivstation zu landen, doppelt so hoch wie das Risiko für ein Blutgerinnsel im Gehirn nach der Impfung.
Risikoabwägung in Abhängigkeit von Inzidenz
Einzige Ausnahme ist die Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen in Kombination mit einer geringen 7-Tage-Inzidenz von 140. Hier liegt das Covid-19-Risiko für den Zeitraum ein wenig niedriger als das impfbedingte Thrombose-Risiko - allerdings nur in den ersten 16 Wochen.
Mit zunehmender Dauer des Impfschutzes steige der Nutzen, während das Impfrisiko nur auf die ersten Wochen nach der Impfung begrenzt ist.
Verlorenes Vertrauen wieder aufbauen
"Wichtige Fakten immer wieder darzustellen und zu erklären, ergibt Sinn", sagt die Kommunikationsexpertin Dickmann. Aber außerdem sei auch Vertrauen wichtig:
Ist Vertrauen erst einmal verloren, reiche allein die Präsentation von Fakten nicht aus. Dann helfe nur eine übergreifende Kommunikationsstrategie, sagt Dickmann und spricht von einem "Vertrauenstransfer": "Ich mache es, weil andere, denen ich vertraue, es auch machen."
Dieser Mechanismus funktioniere gut, werde aber bislang nicht angemessen bedient, sagt sie. Hier könnten etwa Hausärztinnen und -ärzte eine wichtige Rolle spielen.
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