Die neue Corona-Subvariante BA.2.75 treibt die Forschung um. Wird sich der neue Typ weltweit verbreiten? Der Viren-Experte Ulrich Elling erklärt, was wir bislang wissen.
Coronaviren entwickeln sich stetig weiter. Jederzeit können neue Varianten mit anderen Eigenschaften auftauchen und sich anschließend vielleicht durchsetzen. Deshalb beobachten Forschende weltweit diese Virus-Evolution sehr genau.
Gerade steht eine neue Subvariante im Fokus der Virenjäger: BA.2.75. Sie wurde Anfang Juni in Indien erstmals festgestellt. Inzwischen wurden auch Infektionen in anderen Ländern bestätigt - darunter Deutschland und Großbritannien.
Was ist zur Verbreitung von BA.2.75 bekannt?
Die Spurensuche bei BA.2.75 steht noch ganz am Anfang. "Die Gesamtzahl an bekannten BA.2.75-Fällen ist minimal. Wir sprechen von heute etwa 70 Fällen weltweit", sagt Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien ZDFheute. Sein Labor ist eine der Einrichtungen, in denen nach veränderten Coronaviren gesucht wird.
In den Wochenberichten des Robert-Koch-Instituts (RKI) spielt BA.2.75 angesichts dieser Fallzahlen noch keine Rolle. Bislang stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) BA.2.75 weder als "variant of interest" noch als "variant of concern" ein - für diese Klassifizierung der Gefährlichkeit fehlen noch fast alle Daten.
Aktuell dominiert in Deutschland die Omikron-Sublinie BA.5, der Anteil von BA.2 ging in den vergangenen Wochen deutlich zurück.
Wie ist BA.2.75 entstanden?
Gerade untersuchen Forschende, wo und an welchen Stellen das Virus Mutationen aufweist. Das ist eine Möglichkeit, Rückschlüsse auf seine Eigenschaften zu ziehen. Besonders das für das Eindringen des Coronavirus in menschliche Zellen wichtige Spike-Protein steht dabei im Fokus.
Die Mutationen bei BA.2.75 lägen vor allem in Bereichen des Spike-Proteins, die bislang keine Veränderungen erfahren hätten. "Wie bei BA.5 handelt es sich wohl um eine Variante zweiter Generation, also eine Variante der Variante BA.2", erklärt Elling. "Solche Mutationspakete entstehen, wenn sich Viren über längere Zeit zum Beispiel in einem immunschwachen Patienten vermehren können. Denn dann spielt das Virus im Patienten 'Katz und Maus' mit dem Immunsystem."
Wird sich BA.2.75 auch in Deutschland ausbreiten?
Vorhersagen über die zukünftige Verbreitung von Varianten sind schwierig. Das hängt nicht nur vom Virus selbst ab, sondern auch von der Immunität in der Bevölkerung. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie, deren Wellen je nach Land und Zeitpunkt von unterschiedlichen Varianten getrieben wurden, haben Bevölkerungen teils sehr unterschiedliche Antikörper. Sie sind also gegen bestimmte Varianten besser geschützt als gegen andere.
"Indien hatte interessanterweise kaum eine BA.1-Welle, dafür aber eine ausgeprägte BA.2-Welle, die noch immer andauert", sagt Elling. In Südafrika und Portugal hätte man beobachten können, dass BA.5 die vorhandene BA.1-Immunität sehr gut umgehen konnte. Viele Menschen haben sich etwa ein zweites Mal infiziert. Anders als Südafrika und Portugal hatte Deutschland hingegen eine deutliche BA.2-Welle.
Elling weist aber auch darauf hin, dass es bislang erst sehr wenige Datenpunkte für solche Spekulationen gebe.
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Wie gefährlich ist BA.2.75?
Auf die zentrale Frage, ob BA.2.75 gefährlicher als andere Varianten ist, gibt es bislang keine Antwort. Zu Hospitalisierung, Krankheitsverlauf und anderen Aspekten gibt es kaum gesicherte Daten. "Das ist zum jetzigen Zeitpunkt völlig unmöglich", betont Elling. Allgemein gelte weiterhin:
Auch was BA.2.75 für die zukünftigen und an Varianten angepassten Impfstoffe bedeute, könne erst in mehreren Wochen abgeschätzt werden, sagt Elling. "Wie es aussieht, bleibt die Evolution des Coronavirus derzeit noch schneller, als wir die Impfstoffe anpassen können. Sehr gut möglich, dass der BA.5-Impfstoff unzureichend vor BA.2.75 schützt, die Varianten unterscheiden sich in elf Positionen."
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