Sarah Benz ist Trauerbegleiterin und Bestatterin. Das Abschiednehmen hat sich durch Corona verändert, ihre Arbeit auch. Ein Gespräch über Tod und Trauer.
Der Tod ist zur täglichen Nachricht geworden, dargestellt in abstrakten Zahlen. Die Trauer kommt zu kurz. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Eine moralische Kapitulation? Brauchen wir ein öffentliches Gedenken für die vielen Toten der Pandemie?
ZDFheute: Wir Medien fassen den Tod jeden Tag in Zahlen, die das RKI veröffentlicht. Was machen diese Zahlen mit uns?
Sarah Benz: Die Zahlen, mit denen wir jeden Tag konfrontiert sind, machen betroffen und ohnmächtig zugleich. Es ist für uns nicht möglich, so viele Tote emotional zu erfassen.
Aber die Beobachtung dieser Kurve im Koordinatensystem, diese Messbarkeit, gibt uns eine Illusion von Kontrollierbarkeit. Wir versuchen auch, Trauer zu messen - in der Hoffnung, wir könnten sie so irgendwie beherrschen. Deswegen fragen wir so reflexhaft, wenn jemand gestorben ist, wie alt die Person war oder ob sie Vorerkrankungen hatte.
Das ist ein Schutz gegen unsere Angst. Die Realität ist, den Schmerz über einen Verlust können wir nicht kontrollieren.
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ZDFheute: Der Bundespräsident hat eine Gedenkstunde für Verstorbene der Pandemie angeregt, aus der katholischen Kirche kommt der Vorschlag eines Gedenktages. Wie wichtig ist Gedenken?
Benz: Ich finde Gedenken richtig und wichtig. Die Frage ist, wie das konkret gestaltet wird. Wir sind alle so unterschiedlich von Corona betroffen, haben unterschiedliche Bedürfnisse.
Unabhängig davon, was Politik, Kirchen oder andere Organisationen planen, wäre es schön, wenn wir auch spontan unsere Anteilnahme bekunden: Kerzen aufstellen, Schweigeminuten, Musik. Das scheint mir gerade näher an den Menschen zu sein. Einfach das tun, was man fühlt.
ZDFheute: Warum passiert das so wenig? Es gibt Einzelaktionen, aber spontanes Gedenken nach Unglücken wie zum Beispiel nach Flugzeugabstürzen oder Anschlägen wie in Hanau gibt es nicht.
Benz: Ein Flugzeugabsturz ist ein Ereignis, das zu einem bestimmten Zeitpunkt passiert. Es gibt ein klares "Danach", wo getrauert werden kann. Das ist bei Corona nicht so: Manche Menschen haben jemanden verloren, andere haben Angst, dass es sie oder ihre Liebsten treffen kann. Wir sind mitten in einem Prozess, wo vor Gedenken erstmal Durchhalten steht.
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Es gab ja Anteilnahme im ersten Lockdown: Muszieren auf den Balkonen, Klatschen. Ich glaube, es herrscht auch Verunsicherung welche Art von Anteilname die Richtige ist. Aber ich denke, was aus dem Herzen kommt, kann nicht verkehrt sein, auch hier gibt's so viele Möglichkeiten.
ZDFheute: Ihre Arbeit hat sich durch Corona verändert. Wie können Sie den Menschen Abschiednehmen ermöglichen? Wo sind Grenzen?
Benz: In meiner Arbeit als Bestatterin ist es mir wichtig, Menschen beim Abschiednehmen die Möglichkeit zu geben, den Tod eines wichtigen Menschen mit allen Sinnen zu erfahren. Sie können den Verstorbenen mit uns waschen, anziehen, in den Sarg legen, Zeit haben, streicheln, erzählen, schweigen…
Das sind wichtige Erfahrungen und nun oft nicht möglich. Sei es, weil die Menschen an Covid-19 verstorben sind oder Zugehörige selbst in Quarantäne sind. Aber wir tasten uns voran.
Ich habe vor einiger Zeit einen jungen Mann bestattet, dessen Eltern im Ausland leben und nicht kommen konnten. Wir mussten die Abschiednahme und die Trauerfeier über Videochat machen. Es war schwer für sie. Trotzdem bin ich froh, dass es möglich war. So konnte die Mutter wenigstens am Handy verfolgen, wie der Sarg ihres Sohnes in die Erde gelegt wurde.
Auch hier gilt:
In meinem Kurzfilmprojekt "Sarggeschichten" haben wir einen Film darüber gemacht, wie man aus der Ferne Abschied nehmen kann. Je mehr Ideen wir teilen, desto besser.
ZDFheute: Danke für das Gespräch.
Das Interview führte Winnie Heescher.