Zufallsbefund oder schwere Corona-Infektion? Bremen erfasst seit Herbst, ob Menschen mit oder wegen Corona in der Klinik sind. Was bedeutet das?
Die Hospitalisierungsinzidenz ist derzeit der entscheidende Faktor für Corona-Schutzmaßnahmen. Bei der Erhebung der Zahlen geht Bremen einen Sonderweg: Der Stadtstaat setzt bei der Hospitalisierungsinzidenz auf mehr Differenzierung. Und muss somit weniger harte Corona-Maßnahmen umsetzen.
Bremen unterscheidet seit dem Herbst zwischen Menschen, die mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden müssen, und denen, die wegen einer Corona-Infektion in der Klinik sind. Seit Mitte Januar werden die Zahlen veröffentlicht.
- "Mit Corona" bedeutet, dass die Infektion ein Zufallsbefund ist, da jede im Krankenhaus behandelte Person einen Test machen muss. Der Patient liegt aber aufgrund einer anderen Erkrankung im Krankenhaus.
- "Wegen Corona" bedeutet, dass die Infektion der Grund des Krankenhausaufenthaltes ist.
Hospitalisierungsinzidenz als wichtiger Indikator
Lukas Fuhrmann, Pressesprecher der Bremer Gesundheitssenatorin, begründet die Aufarbeitung der Daten mit der Omikron-Variante: "Das Virus verbreitet sich innerhalb der Gesellschaft anders, die Fälle mit Corona haben deutlich zugenommen." Würde man die Hospitalisierungsrate nicht unterteilen, so sei die Inzidenz nicht aussagekräftig genug.
Wenn jemand zum Beispiel mit einem gebrochenen Arm oder einem Schlaganfall im Krankenhaus behandelt wird und der allgemeine Corona-Test positiv ist, fällt diese Person in die Kategorie "mit Corona". So bleibe die Hospitalisierungsinzidenz ein verlässlicher Indikator zur Lage in den Krankenhäusern.
Der Bremer Weg unterscheidet sich vom RKI
Das Bremer Gesundheitsressort misst die Hospitalisierungsinzidenz anders als das Robert-Koch-Institut. Das RKI schaut auf alle hospitalisierten Covid-19-Fälle in den letzten sieben Tagen, bezogen auf 100.000 Menschen. Die Pressestelle des RKI erklärt das Vorgehen mit der Datenlage:
In Bremen meldet jedes Krankenhaus täglich, wer "mit" oder "wegen Corona" behandelt wird. Die Daten der Hansestadt sind präziser als die Zahlen des RKI.
Deshalb werden in Bremen Schutzmaßnahmen nicht von RKI-Zahlen abhängig gemacht, sondern von der Hospitalisierungsrate, die man selbst detailliert erhoben hat.
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Ohne präzise Zahlen härtere Freiheits-Einschränkungen
Die Zahl der Patienten die "mit Corona" im Krankenhaus liegen, meldet Bremen gar nicht mehr an das RKI, weil die Gesundheitsbehörde sie wieder zu dem Wert der Patienten "wegen Corona" addiert und somit eine völlig andere Hospitalisierungsinzidenz für Bremen veröffentlichen würde.
Für die Bremer Bürger bedeutet das: Weil das Land die Hospitalisierungsrate präzise zwischen "mit" und "wegen Corona" aufteilen kann, ist der Wert niedriger und somit müssen die Bürger mit weniger einschränkenden Maßnahmen - gemäß dem Warnstufenmodell - leben.
Kaum ein Bundesland folgt dem Beispiel
Die Bremer Präzisionsarbeit wird in vielen anderen Bundesländern nicht umgesetzt. ZDFheute hat schriftlich in allen 16 Bundesländern erfragt, ob bei der Erhebung der Hospitalisierungsrate zwischen "mit oder wegen Corona" unterschieden wird. 14 Bundesländer haben zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels geantwortet.
In einigen Bundesländern gibt es überhaupt keine Unterscheidung, in manchen Ländern werden offensichtliche Fälle "mit Corona" nicht dazu gezählt. Darunter sind zum Beispiel infizierte Menschen, die aufgrund der Folgen eines Verkehrsunfalls im Krankenhaus landen und nicht wegen des Virus.
Begründet wird die Nicht-Erfassung dieser Daten von vielen Bundesländern damit, dass sie nur unvollständig von den Krankenhäusern gemeldet werden.
Unterscheidung nicht immer leicht
"In manchen Fällen ist die Unterteilung schwierig. Zum Beispiel, wenn Patienten mit organischen Problemen ins Krankenhaus kommen", erklärt Fuhrmann. Bei unklaren Fällen kommt es in Bremen zu Nachmeldungen an das RKI und zu einer Korrektur der eigenen Hospitalisierungsrate.
Aktuell liegt die Hospitalisierungsinzidenz in Bremen bei 4,06, wenn man sich die Menschen anschaut, die wegen Corona in die Klinik kamen. Für diejenigen, bei denen Corona ein Nebenbefund ist, liegt der Wert bei 8,30 (Stand 17.02.2022).
- "Wegen" oder "mit" Corona in der Klinik?
Bei vielen Corona-Patienten in Krankenhäusern ist die Infektion nur ein Zufallsfund - und mit Omikron werden es immer mehr. Wie zuverlässig ist noch die Hospitalisierungsrate?