Corona trifft China: Kliniken erwarten tragischen Kampf

    Corona-Lage:Kliniken in China erwarten "tragischen Kampf"

    Elisabeth Schmidt
    von Elisabeth Schmidt , Peking
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    In China könnten diesen Winter Hunderttausende Menschen an den Folgen einer Covid-Erkrankung sterben. Westliche Hilfe lehnt das Land bislang ab.

    Eine lange Autoschlange hat sich gebildet vor einem Bestattungsunternehmen in Peking. Es dauert ganze vier Minuten, bis ein Mann zu Fuß die Kolonne abschreitet und an den Eingang des Krematoriums gelangt. Aufgebrachte Menschen verlassen das Gebäude – zu sehen in einem Video, das gerade im Netz kursiert.

    Nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Zwangsquarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung hatte das bevölkerungsreichste Land am 7. Dezember seine harte Null-Covid-Politik abrupt aufgehoben. Die Kehrtwende wurde damit begründet, dass die Infektionen mit den neuen Omikron-Varianten nicht mehr so schwer verliefen. Experten sahen den Grund jedoch vor allem darin, dass die strikten Maßnahmen angesichts der explosionsartigen Ausbreitung nicht mehr aufrechterhalten werden konnten. Auch hatten die rigorosen Beschränkungen die zweitgrößte Volkswirtschaft zunehmend belastet.
    Quelle: dpa

    Zu hundert Prozent verifizieren lässt es sich nicht. Als wir bei einem weiteren Bestatter, dem "Dong Jiao" Krematorium anrufen, werden wir erst schroff abgewiesen. Keine Zeit, sagt der sichtlich genervte Angestellte. Beim zweiten Versuch erhalten wir etwas ausführlichere Auskünfte.
    Der Bestatter sei ausgelastet, eine Einäscherung erst wieder Mitte Januar möglich. Im Hintergrund hören wir Kunden mit lauter Stimme auf seine Kollegen einreden, aufgebracht verlangen sie nach einem Termin.

    Die Zahl der Corona-Infizierten explodiert

    Die Covid-Winter-Welle trifft das Gesundheitssystem in China mit voller Wucht. Viele Kliniken laufen voll. Das Shanghaier Deji-Krankenhaus etwa wies sein Personal an, sich auf einen "tragischen Kampf" vorzubereiten. Die Hälfte der 25 Millionen Einwohner der Stadt werde sich bis Jahresende infizieren, während sich das Virus weitgehend unkontrolliert verbreite.
    Bereits jetzt seien Schätzungen zufolge rund 5,4 Millionen Einwohner infiziert, schrieb das Krankenhaus auf seinem offiziellen Kanal auf dem chinesischen Messengerdienst WeChat. Auch in Peking berichten Kliniken von bis zu viermal so vielen Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme, die meisten von ihnen in fortgeschrittenem Alter, mit Vorerkrankungen und in einem gesundheitlich kritischen Zustand. Bilder von eilends in Krankenhausfluren aufgereihten Leichensäcken machen die Runde.

    Chinas Statistiken erfassen an Corona Verstorbene nicht ganz vollständig

    Und doch zählt die offizielle Statistik in China in den vergangen sieben Tagen gerade einmal sieben Menschen, die an Covid-19 gestorben sind. Begründung der Gesundheitsbehörde: Die Statistik erfasse nur Menschen, die durch Lungenentzündung oder Atemwegsversagen nach einer Covid-Infektion starben. Tote mit Vorerkrankungen fließen nicht ein.
    So verzeichnet China nach Angaben der Nationalen Gesundheitskommission 3.761 neue Corona-Fälle mit Symptomen gegenüber 3.030 am Vortag.
    Die Volksrepublik meldet allerdings keine weiteren Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Nach Modellrechnungen des in London ansässigen Forschungsinstituts Airfinity beläuft sich die Zahl der Neuinfektionen in China aber auf wahrscheinlich mehr als eine Million und die Zahl der Toten auf mehr als 5.000 am Tag. Auch der in den USA lebende Epidemiologe Eric Feigl-Ding blickt mit Anspannung auf die nächsten Monate. "Zwei Millionen Tote sind nicht unwahrscheinlich", sagte er ZDFheute.

    China hat seine Impfstoffe nicht angepasst

    China nutze immer noch Impfstoffe der ersten Generation, die lediglich an den Alpha-Typen des Virus angepasst seien. Zudem seien immer noch zu wenige Menschen im Land geboostert, so der Epidemiologe weiter.
    Inzwischen sind die ersten Chargen des mRNA-Impfstoffes von BioNtech/Pfizer aus Deutschland in Peking eingetroffen. Doch sie sind nur den rund 20.000 in China lebenden deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern vorbehalten.
    China habe es verpasst, seine eigenen Impfstoffe an die Omikron-Variante anzupassen, kritisiert Feigl-Ding. Gefährlich sei außerdem, dass viele Chinesen statt FFP2-Masken lediglich OP-Masken trügen und zudem viele Luftfiltersysteme in Wohnhäusern, aber auch in öffentlichen Toiletten nicht besonders gut funktionierten. "Die nächsten Monate werden kritisch werden", so Feigl-Ding. Die Feierlichkeiten zum Chinesischen Neujahr, traditionell ein Familienfest, könnten zu einem Superspreader-Event werden.

    Die Lage in China erinnert an Situation in Bergamo 2020

    Vielen westlichen Beobachtern wird diese Situation wie ein furchbares Déjà-vue vorkommen: Corona-Frühling 2020 mit Tausenden Toten in Italien und den anderen EU-Ländern, Hunderttausenden in den USA und später auch in Indien.
    Und dennoch mahnt Feigl-Ding zu Mäßigung: "Ich habe den Eindruck, dass viele jetzt mit Schadenfreude auf Chinas Versagen blicken, weil das Land jetzt auch das durchmacht, was westliche Länder durchgemacht haben", sagt er.

    Aber Schadenfreude ist unangebracht. Gewinnt China den Kampf gegen Corona, gewinnt die Welt den Kampf gegen Corona.

    Eric Feigl-Ding, Epidemiologe

    Es liege jetzt an der Welt, die Volksrepublik nach Kräften zu unterstützen – und an Chinas politischer Führung, diese Hilfe anzunehmen.
    Elisabeth Schmidt ist Ostasien-Korrespondentin im ZDF-Studio Peking.

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