In China gibt es 292 Millionen Wanderarbeiter. Die Null-Covid-Strategie der Regierung nimmt etlichen von ihnen ihre Arbeit und Lebensgrundlage. Die Folgen: kein Geld, mehr Hunger.
In den Hochhäusern Pekings findet sich der Reichtum und Glanz der chinesischen Gesellschaft. Unten auf der Straße ist davon nur zu träumen. Hier werden die Jobs verrichtet, die die wohlhabende Mittelschicht nicht will.
Ohne die 292 Millionen Wanderarbeiter und Wanderarbeiterinnen wäre China nicht die schillernde Wirtschaftsmacht, die Machthaber Xi Jinping so gerne präsentiert. Doch seine Null-Covid-Strategie schadet seinem Image.
Null-Covid trieb sie in den Hunger
Jeden Morgen ab 4:30 Uhr ist der Marktplatz voll - im Morgengrauen versammeln sich Frauen und Männer, auf der Jagd nach irgendeinem Job. Bereit, fast alles zu tun - damit das Knurren im Magen wenigstens für ein paar Stunden aufhört.
"Ich habe niemals ein richtiges, warmes Essen. Ich esse jeden Tag nur trockenes Brot, niemals Fleisch oder Reis", erzählt eine Frau. So wie ihr geht es momentan den meisten Wanderarbeitern. Sie haben ihre Familien verlassen und ziehen in die großen Städte, um dort zu schuften und Geld in die Heimat zu schicken.
Ein gängiges Modell in China, was Millionen von Menschen in der Bevölkerung bereitwillig ausübten, solange es genügend Jobs gab und den Wanderarbeiter*innen ein versorgtes Leben ermöglichte. Die Armutsbekämpfung in China gilt als beachtlicher Erfolg von Xi Jinping. Dass die Armut in der Welt spürbar zurückgegangen ist, ist auch sein Verdienst.
Das Volk steht hinter ihm - stand auch eine lange Zeit hinter seiner Null-Covid-Politik. Doch nun kommen immer wieder Zweifel. Aufgrund von Chinas Null-Covid-Strategie wurden zahlreiche Fabriken geschlossen, das öffentliche Leben gestoppt, die Industrie angehalten - die Leidtragenden sind vor allem die Unterprivilegierten wie die Wanderarbeiter*innen.
Die Sehnsucht nach Familie ist groß
Die Folge ist nicht nur eine schwächelnde Wirtschaft, sondern auch mangelnde Versorgung: Arme werden immer ärmer, können sich oft kein Essen mehr leisten, verkümmern in den Gassen und Kellern der Metropolen. Das befürchtet auch Herr Zhou: Der 55-Jährige lebt seit Jahren in Peking, kommt aus der Nachbarprovinz Hebei. Er war einmal Bauer und hoffte auf das Glück in der Hauptstadt:
Seine Kammer ist nur wenige Quadratmeter groß und kostet 45 Euro. Er teilt sie sich mit anderen, das spart Kosten. Geschlafen wird unten im Hochbett, seine Kleidung hängt über einer Stange in der Ecke.
Das Schlimmste ist die Sehnsucht nach der Familie: "Ich wünsche mir, mehr Geld zu verdienen. Ich will nach Hause zu meiner Frau und zu meinem Enkelkind. Die Familie ist das Wichtigste. Aber um sie unterstützen, muss ich immer fort."
Der Gehorsam schwindet mit wachsendem Hunger
Leidende Bürger*innen wollen Pekings Machthaber der Welt nicht zeigen. Denn offiziell hat kein Land die Pandemie besser im Griff als China. Wartende, hungrige Wanderarbeiter*innen passen nicht in dieses Bild. Deswegen schickt die Stadt auch an diesem Morgen einen Mitarbeiter zum Marktplatz, der die Wartenden vertreiben soll. "Alle Leute, die einen Job suchen, hauen ab. Schnell!"
Die Null-Covid-Strategie der kommunistischen Partei scheint zu scheitern - doch Präsident Xi hält an ihr fest. Das schadet seinem Machtimage, sagt Sinologin und Politikwissenschaftlerin Kerstin Shi-Kupfer:
Doch Xi Jinping hat eben nicht mehr alles unter Kontrolle, zum Beispiel eine ausreichende Lebensmittelversorgung, die während der Pandemie immer wieder stockte. 1,4 Milliarden Menschen versorgen bei gleichzeitigem Shutdown von Industrie und Lieferketten - eine Rechnung, die kaum aufgehen konnte.
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Hunger ist in China nicht nur mit Nahrungsmittelknappheit verbunden, sondern bringt vor allem bei älteren Chinesen grausame Erinnerungen hervor, an extreme Hungersnöte wie Ende der 50er Jahre. Die Angst, so etwas nochmal erleben zu müssen, ist groß.
Auch deswegen trauen sich Menschen zu reden, teilen ihr Leid im Internet, machen ihrer Wut Luft - ein Verhalten, was man aus dem sonst so gehorsamen China nicht kennt.
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von Oliver Klein und Mona Trebing