Virologe Christian Drosten erklärt im ZDF, warum ihn Omikron mehr alarmiert als einst die Alpha- und Delta-Variante. Und dass er Informationen über milde Verläufe skeptisch sieht.
Christian Drosten im heute-journal-Interview
ZDF: Ich weiß, wir wissen noch nicht wirklich viel. Aber nach allem was berichtet wird, kann diese Omikron-Variante die Sache nochmal deutlich schlimmer machen?
Christian Drosten: Ja, leider. Wir wissen tatsächlich nicht allzu viel darüber. Ich muss sagen, dass ich im Moment schon ziemlich besorgt bin. Ich bin überrascht, so viele Mutationen in dem Virus zu sehen. Diese Mutationen sind dann aber auch das Einzige, was wirklich greifbar sind. Man versteht nicht immer gleich, was Mutationen dann im echten Leben machen.
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Es gibt ja heute in den Medien Berichte über milde Verläufe. Ich finde, daran ist noch nicht sehr viel Substanz. Wir haben gerade einmal etwas über tausend Fälle nachgewiesen und deren klinischen Verlauf muss man erstmal sehen. Das heißt, dass man wirklich für alles offen sein muss. Was man schon sagen kann, ist, dass diese Infektion in Südafrika häufig bei jungen Leuten auftritt, bei Leuten, die in allererster Linie die Krankheit auch schon hinter sich haben, das jetzt als zweite oder dritte Infektion bekommen und dann auch mit Symptomen.
ZDF: Nun ist es ja so, dass jemand, der bisher als genesen gilt, schon als ähnlich oder vielleicht sogar besser geschützt als durch die Impfung galt. Wenn Sie jetzt sagen, in Südafrika erkranken Menschen, die schon richtig Covid hatten, dann spricht das ja dafür, dass jedenfalls dieser Schutz unterlaufen werden könnte.
Drosten: Das ist genau die Sorge, dass wir hier eben jetzt eine erste wirkliche Immunflucht-Mutante vor uns haben. Die anderen Mutanten bisher hatten diese Eigenschaft noch nicht so stark. Und alle sind natürlich da auch ein bisschen nervös und gespannt, ob man möglicherweise so viel Schutz verliert, sowohl durch die überstandene Infektion wie hoffentlich nicht durch die Impfungen, dass man sogar die Impfungen noch mal verändern müsste.
FAQ- Werden jetzt die Impfstoffe angepasst?
Impfstoffhersteller prüfen, ob sie ihre Vakzine wegen Omikron anpassen müssen. Wie schnell könnte das gehen? Wo liegen die Hürden? ZDFheute klärt die wichtigsten Fragen.
von Oliver KleinAll das werden sicherlich die nächsten zwei bis drei Wochen beantworten. Wir müssen auch verstehen, wie es jetzt wirklich mit der Krankheitsschwere ist. Was wir im Moment noch gar nicht sagen können, ist, wie sich das bei uns verhält. Denn hier hat das Virus andere Bedingungen als in Südafrika.
(...) Ich muss auch sagen, dass es schon immer mehr Meldungen, die ich so reinbekomme aus dem Kolleginnen- und Kollegenkreis, dass es doch schon einiges an Infektionen gibt in Deutschland und in Europa.
ZDF: Das klingt doch ein bisschen anders als die ersten Stellungnahmen von Fachleuten. Gestern allerdings haben die ja auch immer dazu gesagt, dass sie noch ganz wenig sagen können, aber ich spüre jetzt eine ein bisschen andere Tonalität in Ihrer Auskunft.
Drosten: Genau, also es ist tatsächlich eine Situation, die sich von Tag zu Tag weiterentwickelt. Und momentan wissen wir nicht, was da auf uns zukommt.
Wenn sich dann doch zeigen sollte, dass hier beispielsweise die Symptomschwere abgemildert ist, dann können wir alle ziemlich erleichtert sein. Aber ich bin im Moment von dieser Auffassung sehr weit weg.
ZDF: Wird man denn zuverlässig darauf zählen können, dass es gelingen wird, die Impfstoffe wieder anzupassen? Das soll ja gerade der große Vorteil dieser modernen Technik sein, dass man solche Mutationen wieder einfangen kann.
Drosten: Ja, das ist richtig, das wird man technisch relativ einfach machen können. Und auch regulativ ist dieser Weg vorgeformt. Aber wir sprechen hier doch von Monaten, von mehreren Monaten, bis die ersten Dosen wirklich ausgeliefert werden. Und dann müssen ja wirklich größere Zahlen produziert werden. Das ist also gar nicht das akute aktuelle Problem.
Wir müssen jetzt mit den verfügbaren Impfstoffen arbeiten, die gegen den schweren Verlauf mit wirklich sehr großer Wahrscheinlichkeit schützen werden. Egal, ob diese Variante jetzt für die Übertragbarkeit besser zugänglich ist. Wir müssen jetzt sehen, dass wir zwei Dinge machen:
Dagegen ist also die Omikron-Variante, die jetzt aus Südafrika kommt, ein Mini-Problem im Moment. Und wir müssen die Impflücken schließen. Unbedingt. Das ist ganz entscheidend, denn wenn man gar nicht geschützt ist, möchte man auch die Omikron-Variante nicht treffen.
ZDF: Nun kommen wir mal auf das aktuelle Problem, das wir auch ohne Omikron hätten. Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, hat unter Ihrer Beteiligung gestern einen Brandbrief geschrieben, dass sofort was passieren müsste. Der wahrscheinlich nächste Kanzler hat in den letzten Tagen gesagt: Nun warten wir doch mal ab. Wir haben doch gerade eben Verschärfung beschlossen. 3G an den Arbeitsplätzen, (...) große Appelle von allen Seiten, doch zur Impfung zu gehen und Abstand zu halten. Vielleicht greift das ja. Warum drängen Sie so auf zwei, drei, vier Tage?
Drosten: Naja, es ist im Moment besorgniserregend, was man in einigen Bundesländern schon auf den Intensivstationen sieht. Ich glaube, das müssen wir jetzt hier nicht ausführen. Das ist ja Teil der Berichterstattung.
Wir haben einfach eine etwas unwägbare Situation. Diese Codes, 2G, 3G, mit denen hat man eigentlich bisher keine Erfahrung in einer wirklichen Winterwelle gemacht. Wir haben hier eine Differenzierung geimpft versus ungeimpft, während wir aber gar nicht so genau wissen, wie denn die Restübertragung durch die Geimpften ist. Das muss man also alles annehmen. Und im Moment ist das eine Situation, die kaum noch jemand modellieren kann.
Und ich glaube, das ist das Wichtigste, was man jetzt im Moment auch wirklich der Politik empfehlen kann, ganz genau in die Gebiete zu schauen, beispielsweise Österreich, Sachsen, Bayern, wo schon in verschärftem Maße diese Maßnahmen angewandt werden. Wo also Großveranstaltungen schon abgesagt werden und man sich dann eben auf dieses Klein-Management - geimpft versus ungeimpft - wer darf an einer Veranstaltung nun teilnehmen, konzentriert. Wo man das aktiv gemacht hat und wo man jetzt so langsam anfangen kann, Effekte zu sehen.
In Bayern beispielsweise geht der R-Wert langsam ein bisschen gegen 1 runter. Wir müssen aber auf 0,7 kommen, um wirklich in absehbarer Zeit die Fallzahl so runterzubekommen, dass eine Entspannung auf der Intensivstation möglich ist. Und davon sind wir noch ziemlich weit entfernt.
ZDF: Sie haben in diesem Brief an die Verantwortlichen geschrieben, es müsste sofort Energisches passieren. Danach sieht es zu dieser Stunde aber nicht aus. Was passiert denn, wenn nichts passiert, außer dass man nach Kräften die Impfungen hochfährt?
Drosten: Naja, ich bin mir nicht sicher, ob das Verimpfen der Booster-Dosen schnell genug gehen kann. Also in Israel war die Erfahrung, dass man die halbe Bevölkerung mit einem Booster versorgt hatte und dann ging die Inzidenz doch merklich runter. Davon sind wir weit entfernt. Wir haben ungefähr acht Millionen geboostert, die Hälfte unserer Bevölkerung wären über 40 Millionen. Das ist also bis Weihnachten nicht zu schaffen.
Und das ist die große Sorge eigentlich, dass wir dann eben das reale Problem bekommen, in der in der Intensivmedizin, dass wir einfach nicht mehr die Betten haben.
Man könnte auch ein paar positive Nachrichten dazugeben. Es ist tatsächlich im Moment so, dass wir ein Absinken der Krankheitsschwere sehen. Das heißt, es müssen nicht mehr, wie noch vor ein paar Monaten, ein Prozent der Infizierten beatmet werden, sondern das geht jetzt so auf 0,7 Prozent, 0,6 Prozent vielleicht und weiter sinkend. Das kommt sicher daher, dass jetzt eben die Booster-Impfungen so langsam greifen. Aber dieser Prozess wird wahrscheinlich schleppend sein, dieses Entkoppeln der Krankheitsschwere, und die Leute kommen weiter auf die Intensivstationen. Und das ist schrecklich.
Das Interview führte Claus Kleber im heute journal.
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