Einsamkeit und psychische Gesundheit werden zunehmend zu einem Problem in der Pandemie. Das liegt auch an der inkonsequenten Corona-Politik, sagen Expertinnen.
Viele kennen jemanden, dem oder der es in der Corona-Pandemie besonders schlecht geht - nicht, weil er oder sie das Virus hat, sondern ein viel älteres "Virus", das nur die Psyche angreift: Einsamkeit. Ältere Menschen, aber auch junge Singles - kein*e Partner*in, kein*e Mitbewohner*in, Treffen kaum erlaubt. "Bereits letztes Jahr hatten wir einen enormen Anstieg der Einsamkeit", sagt Theresa Entringer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
So einsam wie Geflüchtete
Die Einsamkeit sei jetzt auf dem Niveau der Geflüchteten 2017 - eine Bevölkerungsgruppe, in der sie schon seit Jahren ein großes Problem ist. Bei den Geflüchteten selbst habe sich die Einsamkeit nicht nochmal signifikant durch die Krise verschlechtert.
"Da halten die Zustände schon sehr lange an und lösen viele psychische und physische Krankheiten aus und beeinflussen dadurch auch die Sterberate", sagt Entringer. Diese "chronische Einsamkeit" sei besonders gefährlich.
Und die ist es, die jetzt allen Menschen zum Problem wird: Die Einsamkeit scheint zu mutieren - sie verbreitet sich immer schneller. Noch laufen die Studien über Januar und Februar dieses Jahres, sodass Entringer keine endgültigen Aussagen treffen kann, aber sie kann schon eine Tendenz feststellen:
Die Lebenszufriedenheit reagiere tendenziell mit Zeitverzug, auch in der Finanzkrise 2008/2009 sei das so gewesen.
Das Hin und Her der Maßnahmen als Problem
Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum sieht das größte Problem bei der Länge der Krise. "Mit einer kurzfristigen Reduktion unserer Kontakte kommen wir gut zurecht - solange wir wissen, das ist vorübergehend", sagt sie.
Das Argument der verstärkten Einsamkeit werde aber auch häufig von Corona-Gegner*innen missbraucht, um schnelle Lockerungen zu fordern. Das sei der falsche Schluss. Sie sagt:
Durch die lange Dauer und die immer wieder neu beschlossenen Shutdowns entstehe das Gefühl des Kontrollverlusts. "Seit November haben wir das Gefühl, wir haben alles probiert und es funktioniert trotzdem nicht", beschreibt sie das Gefühl.
Dieses Hin und Her der Maßnahmen sei aus psychologischer Sicht viel schlimmer, als für acht Wochen ganz dicht zu machen - mit der Aussicht, dass es dann wirklich besser wird. Momentan sei keine Strategie erkennbar, nichts worauf man sich verlassen könne. "Das ist zermürbend", so Luhmann.
Die Psychiaterin und Psychotherapeutin Tatjana Reichhart, die sich vor allem mit Prävention beschäftigt, fasst das zusammen:
Dadurch sei dauerhaft das Stresszentrum aktiv und im Gehirn würden Botenstoffe ausgesendet, die auf Dauer Veränderungen auslösen - zum Beispiel Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen.
Für junge Menschen und Geflüchtete besonders hart
Das betreffe alle Altersgruppen, aber nochmal in besonderem Maß Geflüchtete und junge Menschen. "Geflüchtete sind schon entwurzelt und fühlen sich erstmal nicht zugehörig in einer fremden Kultur - hinzu kommen Reaktivierung alter Traumata, die fremde Sprache und das Leben auf engem Raum", sagt sie. Sie treffe die aktuelle Krise besonders hart.
Für Jugendliche und junge Erwachsene sei es nun mal im Ablösungsprozess von den Eltern besonders wichtig, dass sie viele Kontakte haben und viele Menschen treffen, sagt Einsamkeitsforscherin Luhmann. Deshalb fühle es sich für die jungen Menschen oft schlimmer an, darauf zu verzichten als für ältere Menschen.
Einsamkeit sei eben nicht durch die Anzahl der Kontakte eines Menschen definiert, sondern stelle die Diskrepanz zwischen seinen Bedürfnissen und den tatsächlichen Kontakten dar. Annegret Wolf vom Psychologischen Institut in Halle sagt:
Einsamkeit sei eine Stresssituation und könne unser Immunsystem herunterfahren. "Auch das kann uns krank machen und das Gesundheitssystem belasten", sagt Wolf.
Gemeinsam gegen Einsamkeit
Deshalb sei es wichtig, dagegen etwas zu tun - auf gesellschaftlicher, aber auch auf individueller Ebene. Planbarkeit und eine einheitliche Linie sei von politischer Seite wichtig. "Zurzeit hangeln wir uns von einer Ministerpräsidentenkonferenz zur nächsten", sagt sie. Das Gefühl von Kontrolle müsse wiedergewonnen werden.
Das hilft gegen Einsamkeit
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Das ginge aber auch auf persönlicher Ebene: Eine Struktur schaffen, sich Projekte vornehmen, den Balkon begrünen, wenn man nicht in den Osterurlaub kann. Aber man könne einsamen Menschen auch nicht einfach sagen, sie müssen sich jetzt zusammenreißen - das Thema sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagt Wolf.
"Ein nettes Lächeln - auch unter der Maske - kein Abwimmeln am Telefon, ein Plausch mit den Nachbarn - das alles hilft uns und unseren Mitmenschen, sich nicht allein zu fühlen", sagt sie. "Ich sehe es auch als Chance, es empfinden gerade alle Einsamkeitsgefühle und es wird viel darüber gesprochen." Vielleicht bewirke das ein Umdenken - zu mehr Rücksichtnahme aufeinander.